Deutsche Aktienfonds: Wir müssen draußen bleiben

Bereits seit Jahren verkaufen Anleger aus Deutschland ihre DAX-Fonds. Angesichts des Höhenflugs deutscher Aktien erstaunt das. Einige Deutungsversuche.

Ali Masarwah 02.07.2014
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Der deutsche Anleger gibt Finanzprofis immer wieder Rätsel auf: Er müsste der Idee nach wissen, dass Sparbücher nicht nur nichts abwerfen, sondern real gesehen – den niedrigen Inflationsraten zum Trotz - quasi Anti-Geld produzieren. Der deutsche Michel müsste der Idee nach auch wissen, dass angesichts extrem niedriger Anleiherenditen das Aktiensparen der einzig gangbare Weg ist, langfristig Kapital zu akkumulieren. Und er müsste auch wissen, dass Deutschlands Unternehmen als Exportweltmeister glänzend dastehen – und dass entsprechend deutsche Aktien in den vergangenen Jahren ein sehr lohnenswertes Investment waren. Der Idee nach. Die Realität sieht freilich anders aus.

Die 6,6 Milliarden-Euro-Frage

Umfragen belegen regelmäßig, dass das Sparbuch die wichtigste Anlageform in Deutschland ist. Fakt ist leider auch, dass die deutschen Investoren seit Jahren vor allem Deutschland-Fonds verkaufen. Unsere Fondsstatistik zeigt, dass in den vergangenen drei Jahren deutsche Standardwertefonds kontinuierlich Mittelabflüsse hinnehmen mussten. Zwischen Juni 2011 und Ende Mai waren es Fondsanteile im Wert von 6,66 Milliarden Euro. 

Wir wollen an dieser Stelle einige Deutungsversuche wagen, warum deutsche Anleger  entsprechend gehandelt haben und – wichtiger noch, welche Folgen die Verkaufswelle für die Anlegerrenditen hatten. Dafür greifen wir auf die Morningstar Mittelflussstatistik, die paneuropäisch ausgerichtet ist, und auf BVI-Zahlen zurück, die das Investitionsverhalten von Anlegern in Deutschland teilweise erfasst (nicht alle ausländischen Anbieter liefern dem BVI ihre deutschen Absatzzahlen). 

These 1: Anleger stoßen aktiv verwaltete Fonds ab und kaufen ETFs

Der DAX ist zwar bekannt wie ein bunter Hund und gilt als „Leitindex“ für deutsche Aktien. Er ist jedoch nicht unbedingt ein „guter“ Index aus Sicht des Fonds-Investors. Er umfasst nur 30 Aktien und  ist auch auf Branchenebene nicht gut diversifiziert. Maschinenbauer sucht man dort vergeblich, ebenso wie die Branchen Öl/Gas. Defensive Konsumgüter, im britischen "Footsie" und vor allem im Schweizer SMI stark vertreten, sind im DAX Mangelware (Henkel hat ein Gewicht von rund 2%). Dafür sind die zyklischen Chemie- und Automobilbranchen im DAX übermäßig stark repräsentiert.

Der DAX macht aber auch Fondsmanagern das Leben schwer. Denn Fonds unterliegen dem Diversifizierungsgebot, was bei 30 Titeln schwierig ist. Aktive Deutschland-Fondsmanager, die den DAX als Benchmark ernst nehmen, haben deshalb kaum Chancen, sich substanziell vom DAX abzuheben. 

Weil aktive DAX-Fonds wenig Mehrwert versprechen, könnte man versucht sein zu spekulieren, dass eine Rotation zwischen aktiven Fonds und DAX-ETFs stattgefunden hat. ETFs sind nicht an die so genannte 5/10/40-Regel, dem gesetzlich festgeschriebenen Diversifikationsgebot, gebunden und können den DAX somit sehr effizient abbilden. Außerdem weisen ETFs nur einen Bruchteil der Kosten aktiv verwalteter Fonds auf. Gründe für eine „Passivierung“ von deutschen Standardwerte-Investments gibt es also genug. 

Die These klingt plausibel, wird aber nicht durch die Realität bestätigt, wie der Vergleich zwischen den Zuflüssen in aktive Deutschland-Standardwertefonds und ETFs zeigt. Aktive Deutschlandfonds verloren in den vergangenen drei Jahren zwar netto 6,82 Milliarden Euro. Dieses Geld wurde jedoch - ungeachtet der ETF-Hype der vergangenen Jahre – nicht in DAX-ETFs investiert, die seit Juni 2011 nur rund 160 Millionen Euro netto einsammelten. Es handelt sich also um „reale“ Abflüsse aus deutschen Aktien, die der Fondsanlage insgesamt verloren gegangen sind. 

Grafik: Aktiv und passiv gemeinsam auf verlorenen Posten Abflüsse in Millionen Euro, Quelle: Morningstar Direct

 

2. Die These vom klugen Market Timert oder aussteigen, wenn die Party am schönsten ist 

Bereits seit Monaten ist das Unbehagen vieler Marktteilnehmer angesichts der niedrigen Volatilität und der beständig steigenden Kurse am Aktienmarkt mit Händen zu greifen. Der DAX bewegt sich derzeit nahe des Allzeithochs von gut 10.000 Punkten. Vielleicht haben Anleger ja die Chance genutzt und über die vergangenen Jahre beständig Gewinne mitgenommen? Auch wenn gelungenes Market Timing keine weit verbreitete Fähigkeit von Investoren ist, wäre es vertretbar, in heutigen Zeiten Gewinne mitzunehmen.

Leider spricht nicht viel für diese These. Dies belegt ein Blick auf die geldgewichtete Rendite, ausgedrückt durch den Morningstar Investor Return. Diese Renditekennziffer bringt die Mittelzu- und -Abflüsse als Teil der Renditegleichung ins Spiel. Gewichtet man die Rendite unter Berücksichtigung der Mittelzu- und -abflüsse kommt man der Erfahrung eines durchschnittlichen Anlegers relativ nah – näher jedenfalls als der Total Return, welcher mit der Rendite eines Buy-and-hold-Investors gleichzusetzen ist. 

Leider entsprechen Buy and Hold-Strategien nicht der Praxis der Anleger. Unsere Untersuchungen haben wiederholt ergeben, dass in den meisten betrachteten Märkten Anleger durch Timing-Versuche in ihren Portfolios viel Schaden anrichten (lesen Sie hier mehr zum Thema Investor Return). Dass Anleger dazu neigen, der Performance hinterherzulaufen, lässt sich auch am Beispiel der deutschen Standardwertefonds illustrieren.

Zwischen Juni 2011 und Mai 2014 belief sich die Anlegerrendite (Investor Return) bei aktiv verwalteten deutschen Standardwertefonds auf 7,23% pro Jahr. Aus einem Investment von 10.000 Euro wären 14.167 Euro geworden. Das ist zwar keine schlechte Performance, aber deutlich weniger als der Total Return dieser Fonds von durchschnittlich 9,25% pro Jahr. Buy-and-Hold Investoren hätten aus 10.000 Euro 15.563 Euro gemacht. Anleger waren also auch in diesem Beispiel aktivistischer als es ihrer persönlichen Bilanz gut tat. 

3. Die These vom schlauen Diversifizierer

Eine alternative Erklärung der Mittelabflüsse ließe Hoffnung für die Investmentkultur in Deutschland aufkeimen. Vielleicht liegt dem Abverkauf von Deutschlandfonds ja in der Diversifizierung der Fondsportfolios begründet? Da deutsche Standardwertefonds auf Branchenebene schlecht diversifiziert sind und der „Home Bias“ Nachteile bringen kann, läge ein Wechsel in breit aufgestellte Europa-/Eurolandfonds bzw. globale Fonds als Basisanlage nahe.

Ein Abgleich der Mittelflüsse in verschiedenen Kategorien kann diese These allerdings nicht erhärten. Die untere Grafik zeigt die Mittelflüsse in sechs große Fondskategorien europaweit. Es handelt sich um solche Kategorien, in denen viel deutsches Anlegergeld steckt. Auffällig ist, dass die Zuflüsse in Europa- und Eurozonen-Aktienfonds in den vergangenen 12 Monaten deutlich angezogen haben (bei Aktienfonds insgesamt ist dieser Trend etwas älter). Anleger haben europaweit also durchaus in breit aufgestellte Aktienfonds investiert. Im selben Zeitraum sind die Abflüsse aus Deutschlandfonds leicht zurückgegangen. Ein „Stabwechsel“ lässt sich aus den europaweiten Mittelflüssen nicht herauslesen.

Grafik: Mittelflüsse in sechs große Fondskategorien seit 2011

  Abflüsse in Millionen Euro, Quelle: Morningstar Direct

Schlimmer noch: Ein Blick auf die vom deutschen Fondsverband BVI Geldflussstatistik, die ausschließlich das Investitionsverhalten von Anlegern in Deutschland misst, zeigt, dass Anleger in Deutschland nicht nur Deutschland-Fonds verkauft haben, sondern eben auch jene breit diversifizierten Fonds. Mit Ausnahme des Jahres 2013 dominierten in Deutschland Abflüsse aus allen großen Aktien-Kategorien (Europa, Euroland, global). Die Diversifikationsthese lässt sich also auch nicht erhärten.

4. Die traditionelle Deutung der Dinge: Der deutsche Michel ist ein Aktienmuffel 

Leider bleibt am Ende unserer Ursachenforschung die klassische Deutung als plausibelste Erklärung übrig: Die ohnehin wenig kapitalmarktaffinen Privatanleger in Deutschland verabschieden sich schlicht von deutschen Aktien. Ohne Wenn und Aber. Offenkundig haben die zwei großen Aktieneinbrüche 2000-2003 und 2007/2008 sowie die punktuellen Einbrüche 2011 und 2012 Anlegern in Deutschland das Aktieninvestieren madig gemacht. Aus den enttäuschten Zockern in T-Aktien von einst sind keine Investoren geworden, die Rückschläge am Aktienmarkt als normalen Gang der Dinge - und als Einstiegschance - begreifen. 

Es gibt in diesem Zusammenhang eine plausible Erklärung für einen Teil der hohen Abflüsse aus Deutschlandfonds seit Mitte 2011. Auch sie hängt mittelbar mit den schlechten Erfahrungen zusammen, die Anleger mit Aktien gemacht haben. Seit 2011 kommen immer mehr fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungen, die vor 2005 abgeschlossen wurden, in den Genuss der Steuerfreiheit. Damals waren die Erträge von Lebensversicherungen nach einer Laufzeit von 12 Jahren steuerfrei.

Fondspolicen waren gerade gegen Ende des vergangenen Jahrtausends en vogue. Wer zwischen 1999 und 2002 fondsgebundene Policen gekauft hat, konnte ab 2011, also nach Ablauf der zwölfjährigen Mindesthaltedauer, die Erträge dieser Vehikel steuerfrei vereinnahmen. Gut möglich, dass Anleger gerade angesichts dieser zwölf volatilen Börsenjahre die erste Gelegenheit zum Ausstieg genutzt haben. Und was passiert mit dem Geld? Vermutlich stecken viele die frei gewordenen Mittel in den Sparstrumpf bzw. lassen es auf dem Sparkonto liegen.

Die Folgen sind bekannt: Derweil gut 70% der deutschen auf das Sparbuch setzen und langfristig Geld verlieren, profitieren ausländische Investoren von der Prosperität der börsennotierten deutschen Unternehmen – egal, ob im Kontext von DAX-, EuroStoxx- oder MSCI World-Investments. Aktuelle Untersuchungen haben jüngst ergeben, dass die im DAX vertretenen Konzerne im Schnitt zu rund 70 Prozent im Besitz ausländischer Investoren befinden. Der deutsche Michel schaut derweil in die Sparbuch-Röhre.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich