„Wir haben zuletzt einige Gewinne mitgenommen“

Auch wenn die Deutschland-Aktienfonds der DWS bekannt dafür sind, Aufwärtsbewegungen am Markt auszuschöpfen, gibt sich Tim Albrecht heute vorsichtig. Der Co-Manager des DWS Aktien Strategie Deutschland im Interview am Rande der Morningstar Deutschland Awards.  

Ali Masarwah 16.03.2015
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Freunde der gepflegten Aktienkultur raufen sich regelmäßig die Haare, wenn die Sprache auf das Anlageverhalten der Deutschen kommt. Der deutsche Michel kauft keine Aktienfonds. Das spiegelt sich auch in den hohen Rückgaben aus Deutschland-Fonds wider - ungeachtet einer sehr ansehnlichen Performance in den vergangenen Jahren. Auch wenn DWS-Fondsmanager Tim Albrecht kein Freund der drastischen Worte ist, war seine kritische Haltung unüberhörbar, als er auf den Morningstar Awards Deutschland 2015 den Preis für den besten Deutschland-Aktienfonds stellvertretend für Lead-Manager Henning Gebhardt entgegennahm (lesen Sie hier mehr). Der DAX, so der Co-Manager des DWS Aktien Strategie Deutschland, sei zu einem „Spielball ausländischer Investoren“ verkommen. Ein Interview am Rande der Verleihung der Morningstar Awards über die Treiber des Aktienmarkts und wie einer der prominentesten Deutschlandfonds perspektivisch aufgestellt ist.

 

Herr Albrecht, Sie haben eben bemängelt, der DAX sei zu einem „Spielball ausländischer Investoren“ verkommen. Was stört Sie daran, dass internationale Investoren deutsche Aktien kaufen und verkaufen?

Mich stören ausländische Investoren natürlich nicht. Meine Kritik hebt auf das Gesamtbild des deutschen Aktienmarkts ab: Deutsche Anleger halten sich leider zu stark fern vom heimischen Aktienmarkt. Der Kursverlauf deutscher Aktien ist zu einem guten Teil von internationalen Investoren geprägt, und die sind nicht immer auf Langfristigkeit orientiert. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel: vor zwei Jahren galt die Ansicht, dass Eurozonen- und vor allem deutsche Aktien günstig waren; die Frühindikatoren hatten sich erholt, und das Makrobild war vielversprechend. Vor allem angelsächsische Investoren hatten im großen Stil investiert. Als sich dann im Laufe des Jahres 2014 herausstellte, dass das gesamtwirtschaftliche Umfeld in der Eurozone doch nicht so gut war, wurden viele Gelder wieder abgezogen. Heute sorgen insbesondere der schwache Euro und das QE der EZB für ein gesteigertes Anlageinteresse. Das führt zu Volatilität.

Sie vermissen den heimischen Ankerinvestor, der dem Markt durch sein langfristiges Engagement mehr Stetigkeit verleiht?

Ja, definitiv, die Deutschen investieren viel zu wenig in ihre eigenen Unternehmen; das ist enorm schade. Es gibt in Deutschland keine ausgeprägte Aktienkultur, der Aktienmarkt wird nach wie vor von vielen Bürgern leider als eine Art Spielcasino angesehen. Aktien zu kaufen, ist natürlich alles andere als verwerflich, es ist volkswirtschaftlich nützlich! Mit dem Kauf einer Aktie erwerben Sie einen Anteil am Unternehmen, Sie stellen ihm Eigenkapital zur Verfügung, mit dem es investiert und Arbeitnehmer einstellt. Und für den deutschen Investor ist die Aktie langfristig ein wichtiger Baustein für seine Altersvorsorge. Die Aktie hat ein viel besseres Ansehen verdient!

Aber sollte man jetzt, bei einem DAX-Stand von rund 12.000 Punkten, wirklich alles auf die Aktie setzen?

Wer bereits Aktien in seinem Portfolio hat, sollte sie als Langfristanlage sehen und halten. Ich tue mich aber schwer, beim heutigen Marktniveau Investoren, die bisher vom Markt ferngeblieben sind, zu sagen: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt zum Einstieg – der wurde wahrscheinlich verpasst.

Die Aktienfonds der DWS sind bekannt dafür, in Aufwärtsmärkten offensive Calls zu machen. Der DWS Aktien Strategie kann sogar eine Investitionsquote von 120% fahren. Müssten Sie angesichts der Geldflut der EZB, die gerade die Märkte treibt, nicht viel optimistischer sein?

Langfristig bin ich weiterhin optimistisch. Wir haben aber angefangen, einige Gewinne mitzunehmen, seitdem der DAX die 11.000-Punkte-Marke überschritten hat. Das war im vergangenen Herbst noch anders. Als der DAX unter 9.000 Punkte gefallen war, haben wir die Investitionsquote im DWS Aktien Strategie auf bis zu 120% hochgefahren. Wir hatten auch Anfang dieses Jahres mit steigenden Kursen gerechnet und waren entsprechend investiert. Jetzt hat der Markt aber ein Bewertungsniveau erreicht, das dem langfristigen Durchschnitt entspricht. Deshalb haben wir den Investitionsgrad auf 100 bis 105% gesenkt, bei einigen Titeln, vor allem Nebenwerten, nehmen wir Gewinne mit.

Sie rechnen also mit einer Korrektur?

Wir gehen zwar nicht von einem Einbruch auf breiter Front aus, aber die Fallhöhe nimmt zu. Die technischen Indikatoren signalisieren, dass der deutsche Markt derzeit stark überkauft ist. Der Abstand zur 200 Tage-Linie ist zum Beispiel sehr groß, nach der Lehrbuchmeinung wäre der Markt überfällig für eine Konsolidierung.

Gelten heute nicht vielleicht andere Regeln? Die EZB treibt Anleger regelrecht ins Risiko, und über kaufwillige Investoren aus dem Ausland haben wir ja schon gesprochen.

Eine Konsolidierung im Umfang von 5-10 Prozent wäre jederzeit möglich und aus technischer Sicht auch gesund, aber wir haben in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass Märkte wesentlich länger als gedacht überkauft oder überverkauft bleiben können. Die Zuflüsse aus dem Ausland können das Kursniveau im DAX und MDAX weiter nach oben treiben. Aber es ist uns lieber, unseren Kunden zu erklären, dass wir uns aus der einen oder anderen Position zu früh verabschiedet haben, als hinterher festzustellen, zu optimistisch agiert zu haben. Außerdem bedeutet eine Investitionsquote von 100%, dass wir weiterhin voll investiert sind.

Wie handhaben Sie es mit zyklischen Werten? In den vergangenen Jahren haben sie konjunkturabhängige Aktien sukzessive reduziert. Im Gegenzug haben Sie im DWS Aktien Strategie viel Health Care aufgebaut, den Fonds also eher defensiver positioniert. Was ist Ihr Szenario für die Märkte?

Das liegt zum einen an der grundsätzlichen Ausrichtung des Fonds, auf stabile Wachstumstitel zu setzen. Dazu zählen auch Pharma- und Health-Care-Werte. Aber Sie haben Recht, wir haben in den letzten Jahren einige zyklische Werte etwas reduziert, da die Wirtschaftsdaten in der Eurozone in den letzten Jahren nicht besonders gut waren. Beispielsweise existieren im Chemiesektor und im Industriebereich weiterhin Überkapazitäten. Das hat uns dazu gebracht, Exportwerte, die typischerweise an der Konjunktur hängen, abzubauen. Aber man darf das nicht zu schematisch sehen: viele Exportunternehmen, wie beispielsweise die Automobilhersteller, haben sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt. Zudem profitieren viele Exportunternehmen aktuell vom schwachen Euro. Diesen Effekt sollte man allerdings pauschal nicht überbewerten. Die deutsche Industrie hat in hohem Maße global investiert, ein großer Teil der Produktion ist inzwischen an den Absatzmärkten vor Ort, etwa in Nordamerika oder in den Schwellenländern. Währungen werden abgesichert, viele Vorprodukte werden in US-Dollar eingekauft. Ein schwacher Euro ist somit kein Selbstläufer für die Exportwirtschaft. Ob ein Unternehmen seinen Gewinn steigert, hängt in erster Linie an der Qualität des Managements, am Geschäftsmodell und ob es über eine Preissetzungsmacht verfügt.

Was sagen die Unternehmen, die Sie in diesen Tagen treffen, über ihre Geschäftsperspektiven 2015?

Viele sind erstaunlich zurückhaltend. Auch wenn sich die Weltkonjunktur robuster zeigt, Rohstoffe und Energie günstig sind und die Währungsseite zumindest etwas Rückenwind gibt, hören wir bei unseren Unternehmensbesuchen einige Skepsis heraus. Das macht uns hellhörig. Auch wenn einige Unternehmen tief stapeln, herrscht doch eine gewisse Unsicherheit. Das liegt auch daran, dass es nicht überall rund läuft: Das Russlandgeschäft, das für viele deutsche Unternehmen wichtig ist, ist praktisch zusammengebrochen, und auch die Lage in Lateinamerika, vor allem in Brasilien, ist ein Bremsfaktor. Auch die Exportnachfrage aus unseren Nachbarländern könnte besser sein. Was die Märkte heute treibt, sind vor allem enorme Mittelzuflüsse. Wie diese sich in Zukunft entwickeln, lässt sich nur schwer vorhersagen.

Da wäre wir wieder beim Stichwort: Wenn der Money Flow das Bild derzeit bestimmt, dann würde es vermutlich aus opportunistischer Sicht mehr Sinn ergeben, in Standardwerte als in Nebenwerte zu investieren; die haben ausländische Investoren selten im Blick.

Ja, es gibt ja diesen Spruch „big money needs big cap ideas“, und das ist ja auch so. Das wird auch durch die hohe Nachfrage nach passiven Produkten forciert. Deshalb sind wir pragmatisch und investieren in unseren Deutschlandfonds aktuell stärker in Standardwerte. Natürlich lautet auch der Auftrag des DWS Aktien Strategie, interessante Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe zu finden. Aber man darf nicht zu stark gegen den Markt wetten. Dies bedeutet, man sollte durchaus Hidden Champions beimischen, aber deren Anteil im Portfolio darf nicht zu hoch sein. Manche kleinkapitalisierte Aktien, die nicht Bestandteil der großen Indizes sind, sind zwar günstig bewertet, aber was nützt mir das, wenn diese Jahre lang ein Schattendasein fristen, bevor sie entdeckt werden? Es kommt immer auf das Mischverhältnis an.

Die Fragen stellte Ali Masarwah

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich