Die ETF-Branche schafft gerade die Voraussetzung für ihre Underperformance

Ist das Wachstum der ETF-Branche gut für Anleger? Welche Trends dominieren den Markt für passive Produkte? Bringt die Hype der aktiven Algorithmen eine Annäherung der ETF-Branche und der aktiven Asset Manager mit sich? Ein Interview. 

Ali Masarwah 04.09.2015
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Die ETF-Branche ist in Bewegung. Das ist kein Wunder bei einem überdurchschnittlich wachsenden Wirtschaftszweig; viele Akteure nutzen die Gunst der Stunde und bringen neue Produkte auf den Markt in der Hoffnung, sich etwas vom Kuchen abschneiden zu können. Über aktuelle Trends in der ETF-Branche und die möglichen Perspektiven haben wir im Gespräch mit dem Fondsportal Fundplat diskutiert. Wir bringen das Interview in Auszügen mit freundlicher Genehmigung der ICN Trust Finance AG in Zürich.

Fundplat: Herr Masarwah, immer mehr ETFs bedeuten auch immer mehr Arbeit. Freut Sie das?

Ja, dem Anleger bringen mehr ETFs ein mehr an Auswahlmöglichkeiten. Im Gegensatz zu nicht-börsenkotierten Indexfonds haben ETFs so ziemlich alle Wertpapierkategorien erschlossen. Es ist also eine sehr granulare Asset Allocation für Profi-Anleger möglich. Außerdem belebt die Konkurrenz das Geschäft. Wenn viele ETFs denselben Index abbilden, dann ist das für Anleger keinesfalls unübersichtlich oder gar ein Ärgernis. Denn mit wenigen Klicks können Anleger schnell erkennen, wer den besten Job beim Tracking gemacht hat. Bei ETFs ist das sehr transparent, das ist wie ein Windhundrennen. Zudem zieht die Produktvielfalt zwangsläufig die Konkurrenz der Anbieter um das begrenzte Geld der Anleger nach sich. Ein Konditionenwettbewerb kommt wiederum den Investoren zugute. Ich kann mich gut erinnern, dass vor rund zehn Jahren DAX ETFs pro Jahr 50 Basispunkte an Gebühren gekostet haben. Heute sind etliche DAX ETFs für weniger als 10 Basispunkte pro Jahr zu haben. Die Gebühren von ETFs sind insbesondere in den vergangenen zwei, drei Jahren stark gefallen. Das ist ein handfester Vorteil für Anleger. Allerdings gilt diese positive Einschätzung in erster Linie für ETFs auf die grossen Standard-Indizes…

… der ETF-Markt besteht nicht nur aus Trackern auf DAX, SMI oder MSCI World…

Genau, da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Es ist für uns Researcher recht einfach, die in Zürich oder Frankfurt kotierten ETFs mit ein paar Mausklicks nach Kategorien, Anbietern, Performance oder Vermögen zu überblicken oder zumindest einen schnellen Eindruck über Veränderungen zu gewinnen. Für Privatanleger kann es dagegen schon schwer sein, den Überblick über alle möglichen Sektor-, Strategie- oder Länder-ETFs zu behalten. Privatanleger sollten sich nicht zu einer sehr fein ziselierten Asset Allocation verleiten lassen, nur weil es viele Produkte am Markt gibt. Sie sollten sich auf die grossen, bekannten Standard-Indizes konzentrieren. Ich würde keinem Anleger mit einem freien Vermögen von unter 100.000 Euro/Franken zu mehr als 10 ETFs im Portfolio raten. Von Hebel-ETFs und von vielen Strategie-Produkten, die eher intransparent sind bzw. eine sehr klare Marktmeinung voraussetzen, würde ich ebenfalls abraten.

Was sind für Sie im laufenden Jahr die wichtigsten neuen Produktströmungen?

Wir sehen generell eine immer stärkere Fragmentierung auf Ebene der Asset-Klassen bzw. auf Ebene einzelner Kategorien, ja sogar bei einzelnen Indizes. Heute werden zum Beispiel auf der Bond-Seite immer mehr einzelne Laufzeitbänder und Bonitätsstufen in ETFs gegossen. Auf der Aktienseite sind es währungsgesicherte Produkte und immer speziellere Strategien bzw. Sub-Strategien. Ein Beispiel hierfür sind ETFs, die Unternehmen mit besonders gewichtigen Aktien-Rückkaufprogrammen abbilden. Das interessante ist, dass die ETF-Branche mit dieser zunehmenden Fragmentierung die Voraussetzung dafür schafft, dass künftig immer mehr ETFs ihre Peergroups bzw. den marktbreiten Index underperformen werden. Spezielle Strategien werden möglicherweise in bestimmten Zeiten eine markante Outperformance erzielen. Spiegelbildlich dazu werden sie aber zwangsläufig zu anderen Zeiten ebenso markant underperformen. Die ETF-Branche profitiert derzeit vom schlechten Leumund aktiv verwalteter Fonds, von denen viele ihre Benchmark nicht schlagen. Ich frage mich, was die Folge für das Image der ETF-Branche sein würde, wenn in Zukunft 60,70 oder 80 Prozent der ETFs einer Kategorie die marktbreite Benchmark oder den Durchschnitt vergleichbarerer aktiver Fonds underperformen würden.

Gibt es auch Trends, auf die man getrost verzichten könnte?

Ich vermute, dass viele Strategic-Beta ETFs, die in der Marketingsprache der Anbieter auch als „Smart Beta“ bezeichnet werden, enttäuschen werden. Diese Produkte, die den Anspruch haben, ein besseres Rendite-Risiko-Profil zu erzielen als nach Markt- bzw. Schuldenkapitalisierung gewichtete Indizes, werden in hoher Frequenz auf den Markt geworfen. Es ist lange her, dass Fama/French neben dem Markt die Faktoren Size und Value vorgestellt haben! Heute spriessen vermeintlich neue Faktoren regelrecht wie Pilze aus dem Boden. Besonders bedenklich wäre, wenn Anleger den Eindruck gewinnen würden, dass man sich für eine Outperformance nur möglichst viele Faktor-ETFs ins Portfolio zu legen braucht. So einfach ist das nicht! „Welcher vermeintliche Faktor könnte eher eine Übung in Data Mining sein?“, „Welche Faktor-ETFs haben mehr als nur Backtests vorzuweisen?“, „Welche Kombination aus welchen Faktoren macht Sinn?“. Das sind Fragen, die sich Investoren stellen sollten, bevor sie einen Einstieg in die Welt der Investment-Faktoren erwägen!

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen, was erwarten Sie von den ETF-Märkten in der Schweiz und in Deutschland?

Zunehmendes Wachstum und eine zunehmende Reife. Dabei dürften ETFs und passive Anlagefonds in der Schweiz stärker wachsen, weil sich hier zunehmend mehr Vertriebskanäle im Zuge der Bundesgerichtsurteile zu Retrozessionen vom Thema Kickbacks verabschieden. In Deutschland dürfte das Wachstum der ETFs im Retail-Bereich dagegen etwas gemächlicher vonstattengehen, da hier die Uhren im Vertrieb noch anders ticken. Ohne regulatorischen Schock dürfte es keine grossen Umwälzungen im deutschen Finanzvertrieb geben. Ich denke auch, dass sich das Tempo, mit dem neue Akteure den Markt erschliessen werden, verlangsamen wird. Der ETF-Kuchen wächst, aber dennoch wird es für neue Player am Markt enger, zumal die drei Platzhirsche iShares, db x-trackers und Lyxor nach wie vor gut zwei Drittel des Marktes auf sich vereinen.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich