Dividenden sind ein Allheilmittel, Dividendenfonds dagegen nicht unbedingt

Der Wonnemonat Mai ist zugleich der Höhepunkt der Dividendensaison. Dividenden sind ein essentieller Teil der Aktienanlage. Gerade deshalb müssen sich Investoren allerdings über die Funktion dieser Ausschüttungen im Klaren sein. Was brauchen Anleger, und was liefern Dividendenfonds?  

Ali Masarwah 08.05.2018
Facebook Twitter LinkedIn

Die Schlagzeilen in den Medien gleichen sich jedes Frühjahr aufs Gleichförmigste: „Geldregen für Aktionäre“, „Unternehmen schütten Rekord-Dividenden aus“, „Wonnemonat Mai: Jetzt kommt die Dividende!“, „Diese Aktien sind sichere Dividenden-Könige“, „Dividenden so hoch wie noch nie zuvor“ und so weiter und so fort. Anfang Mai nähert sich der Höhepunkt der Dividendensaison, und die Gewinne der Unternehmen ermöglichen hohe Ausschüttungen.

In Deutschland werden die börsennotierten Unternehmen in diesem Jahr gemäß einer Studie der Hochschule für Ökonomie und Management gut 52,6 Milliarden Euro an ihre Aktionäre auskehren. Das ist beachtlich und stellt zugleich einen historischen Rekordwert dar. Das zeigt, dass es vielen Unternehmen in Deutschland sehr gut geht - und dass sie ihre Aktionäre am Erfolg teilhaben lassen. Zum Ausschüttungstermin werden Münchener Rück, Daimler, Deutsche Telekom, BMW und Allianz in diesem Jahr Dividendenrenditen von deutlich über vier Prozent aufweisen. Kein Wunder, dass hier die Phantasie der Anleger geweckt wird, zumal der Leitzins der EZB nach wie vor bei minus 0,4 Prozent verharrt und Tagesgeldkonten entsprechend real gesehen sichere Verlustbringer sind. Überall in Europa schütten Unternehmen satte Gewinne aus. 

Dividenden-Dax übertrifft Preisindex um 90 Prozentpunkte 

Jenseits dieser Rekordmeldung ist festzuhalten, dass Dividenden für die Aktien-Performance insgesamt von eminent wichtiger Bedeutung sind. Inklusive Dividenden legte der Aktienindex DAX in den vergangenen 20 Jahren kumuliert um 141 Prozent zu. Ohne Hinzurechnung der Dividenden lag das Plus bei relativ bescheidenen 46 Prozent. Annualisiert macht das 4,5 Prozent versus (real negativen) 1,9 Prozent. Dieser Unterschied ist auf den Zinseszins-Effekt zurückzuführen. Die Thesaurierung von Ausschüttungen, das so genannte Compounding, ist das Erfolgsrezept der Aktienanlage.

So weit, so gut. Und da Aktienfonds, bildlich gesprochen, Wertpapierkorbe sind, ist die Feststellung also eine Binse, dass Dividenden auch für Fondsanleger eine wichtige Rolle spielen. Das wollen wir in diesem Beitrag beleuchten. Die Fondsindustrie ist in den vergangenen Jahren verstärkt dazu übergegangen, Dividendenfonds aufzulegen. Diese Produkte vereinen in der Regel besonders dividendenstarke Aktien bzw. Unternehmen mit Ausblick auf steigende Dividenden. 

Dividendenstory ist nicht so einfach wie es auf den ersten Blick scheint

Eben weil die Dividendenstory scheinbar so einfach und eingängig ist, waren diese Fonds in den vergangenen Jahren im Vertrieb regelrechte Renner. Und die Story ist tatsächlich auf den ersten Blick einfach: Auch bei Dividendenfonds machen Ausschüttungen einen Löwenanteil des Langfristerfolgs aus. Macht man obere Rechnung für ausgewählte Fonds auf, dann fällt die Bilanz ähnlich aus wie beim DAX. So erwirtschaftete der größte Dividendenfonds in Europa, der gut 17,5 Milliarden Euro schwere DWS Top Dividende, unter der Annahme, dass die Fonds-Ausschüttungen reinvestiert werden, in den vergangenen zehn Jahren eine Performance von kumuliert 85 Prozent. Rechnet man den Einfluss der Ausschüttungen heraus, dann hätte das Plus zwischen Mai 2008 und Ende April 2018 nur bei 34 Prozent gelegen.

Noch klarer fällt die Bilanz beim Newton Global Income und beim Kempen Global High Dividend aus. Die beiden Fonds zählen ebenfalls zu Europas größten Dividendenprodukten. In den vergangenen zehn Jahren stand, Ausschüttungen reinvestiert, unter dem Strich bei beiden Fonds jeweils ein Plus von gut 120 Prozent. Unter Herausrechnung der Fonds-Ausschüttung waren es indes nur knapp 40 Prozent. 

Wann wird der Zins zum Zinseszins?

Doch damit kommen wir zum Pudels Kern: Bei allen drei Fonds handelt es sich um ausschüttende Produkte. Anleger, die diese Fonds gekauft und im Depot liegenließen, hätten über die Jahre einen saftigen Batzen Nullzins-Cash auf ihrem Verrechnungskonto aufgewiesen. Die faktische Fonds-Performance wäre nach zehn Jahren indes recht dürftig ausgefallen. 

An dieser Stelle sei auf einen – eigentlich wiederum trivialen – Sachverhalt hingewiesen, der allerdings vermutlich einigen Privatinvestoren aus dem Blick geraten ist: Den Performance-Angaben zu ausschüttenden Fonds liegt die Prämisse der Wiederanlage zugrunde. Das Performance-Messungsverfahren für Investmentfonds weltweit basiert auf der Annahme, dass Fonds-Ausschüttungen umgehend in neue Anteile angelegt werden. Dieser Kunstgriff wird vorgenommen, um einen einheitlichen Maßstab zur Messung der Leistungsfähigkeit ausschüttender und thesaurierender Produkte zu schaffen. Aber es handelt sich um eine fiktive Rechnung, die nicht vom Anleger her gedacht ist. Die Wiederanlageprämisse der Fondsindustrie spiegelt nicht die persönliche Performance von Anlegern in ausschüttenden Fonds wider. Halten wir also fest, dass ausschüttenden Fonds, also den meisten Dividendenfonds, der Zauber des Zinseszinseffekts fehlt.

Die Wiederanlageprämisse der Fondsindustrie spiegelt nicht die persönliche Performance von Anlegern in ausschüttenden Fonds wider. Ihnen fehlt der Zauber des Zinseszins-Effekts

Doch es kommt noch schlimmer. Die teils offensive Werbung für Dividendenfonds, mit der sich Anleger konfrontiert sehen, suggeriert, dass Dividenden-Investments eine bessere Performance erzielen als herkömmliche Aktienindizes bzw. -Investments. Das kann so sein, muss es aber nicht. So lag der MSCI World Index in den vergangenen zehn Jahren mit einem Plus von 8,2 Prozent pro Jahr (in Euro gerechnet) recht deutlich vor dem gängigen globalen Dividenden-Index MSCI World High Dividend Yield, der um knapp sieben Prozent zulegte. Und nein: Dividendenfonds schützen nicht zwangsläufig das Kapital besser als herkömmliche Investments: Auch die Drawdowns waren beim globalen Dividendenindex mit gut 55 Prozent höher als beim MSCI World, bei dem maximale Verlust seit Mai 2007 bei 49 Prozent lag. 

Anleger sollten sich also vor scheinbar naheliegenden Analogieschlüssen hüten: Dass Dividenden einen Großteil der langfristigen Aktien-Performance ausmachen, bedeutet nicht, dass im Umkehrschluss Aktien mit besonders hohen Dividenden-Renditen eine überdurchschnittliche Performance erwirtschaften. Und das Argument, dass Dividenden bei fallenden Märkten einen Puffer bilden, ist ebenfalls mehr Legende als Wahrheit: Es kommt auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen im Fonds an, nicht auf die Frage, ob sie Dividenden ausschütten oder nicht. Erinnern Sie sich, dass 2008 Banken die Lieblinge von Dividenden-Investoren waren? Eben!

Die Dividende ist vom Fonds-Phänomen Ausschüttung zu trennen!  

Doch wenn Dividendenstrategien nicht per se erfolgreicher sind als andere Aktienstrategien, dann rückt die Frage in den Mittelpunkt: Für wen eigenen sie sich eigentlich? Welche Funktion erfüllen die Produkte für Anleger? Gibt es eventuell bessere Substitute? Die Fragen sind alles andere als trivial. Funktional gesehen können können Dividendenstrategien zum einen als Qualitätsfilter zum Einsatz kommen. Fondsmanager, die auf Unternehmen setzen, die eine jahrelange Dividendenkontinuität aufweisen, landen in der Regel bei stabilen Geschäftsmodellen mit hohen freien Cashflows.  Hier fallen einem Namen wie Nestle, Novartis, Pfizer, Daimler, BMW oder Allianz ein. Einerseits.

An dieser Stelle ließe sich einwenden, dass Dividendenfonds typischerweise auf traditionelle Industrien setzen. Technologiewerte, hinter denen viele sehr erfolgreiche Geschäftsmodelle stehen - man denke nur an die so genannten FAANGs-, sind in Dividendenfonds und Dividendenindizes deutlich unterrepräsentiert. Im MSCI World High Dividend Yield machen Tech-Werte gerade einmal neun Prozent aus verglichen mit gut 16 Prozent im Standardwerteindex MSCI World. Beim MSCI Europe High Dividend Yield liegt der Anteil an Technologie-Aktien bei kaum wahrnehmbaren 0,4 Prozent (immerhin 5,1 Prozent im MSCI Europe). Diese Unterrepräsentation ist nicht erstaunlich, da Technologieunternehmen typischerweise in Wachstum investieren und typischerweise nicht ihre Gewinne auskehren. Dividendenfonds, die auf Qualitätswerte setzen, haben die Dividendenstabilität im Blick, nicht die Dividendenrendite, aber eben auch nicht stark wachsende Unternehmen. 

Zum anderen gibt es Investoren, die hohe laufende Ausschüttung benötigen. Für sie ist die Dividendenrendite das entscheidende Kriterium. Die laufenden Erträge stellen die absolute Rendite, und damit auch den Zinseszinses, in den Schatten. Zu diesen Investoren zählen Ruheständler, also Investoren, die sich in der Konsumphase und nicht länger in der Ansparphase befinden. (Bei Institutionen dürften Stiftungen ebenfalls zu dieser Investoren-Kategorie zählen.)

Übrigens liegt hier der historische Ursprung des so genannten Income-Investing: Ruheständler aus dem angelsächsischen Raum sind auf laufende Ausschüttungen angewiesen. In Großbritannien, wo die gesetzliche Rente längst nicht die tragende Rolle wie im deutschsprachigen Raum spielt, sind Income-Strategien besonders weit verbreitet. Für den Lebensunterhalt dieser Anleger ist es essentiell, ob ihr Investment eine Ausschüttungsquote von zwei oder vier Prozent liefert. Ob der Gesamtertrag des Portfolios langfristig über oder unter dem MSCI World liegt, dürfte indes deutlich weniger wichtig sein. Diese Anleger brauchen klar ausschüttende Fonds. 

Allerdings wirft das die Frage auf, ob Anleger, die regelmäßige Ausschüttungen brauchen, auch tatsächlich mit Dividendenfonds am besten bedient sind. Denn Dividendenfonds sind Aktienfonds, und Aktienfonds können sehr stark schwanken, was für die meisten Ruhständler keine optimale Lösung ist. Globale Dividendenportfolios haben in den vergangenen zehn Jahren maximale Verluste von durchschnittlich knapp 50 Prozent erlitten. Auch wer nicht auf den Total Return fixiert ist, wird nicht gelassen zusehen, wie die Hälfte seines Kapitals, mit der er seine Rente bestreitet, dahinschmilzt. 

Fondsanleger sollten also gedanklich "Ausschüttungen" nicht mit "Dividenden" gleichsetzen. Schließlich gibt es ausschüttende Produkte in jeder Fondsgattung.

Fondsanleger sollten also gedanklich "Ausschüttungen" nicht mit "Dividenden" gleichsetzen. Schließlich gibt es ausschüttende Produkte in jeder Fondsgattung. Nicht nur Dividenden(aktien)fonds, sondern auch Immobilienfonds, Rentenfonds, Mischfonds, oder alternative Fonds können laufende Erträge liefern. Vermutlich dürften viele ausschüttende, defensive Mischfonds problemlos die Funktion der stabilen Ertragsquelle erfüllen -- bei deutlich weniger Schwankungsintensität als Aktienfonds.

Und wer der Meinung ist, dass ein Aktienfonds der beste Garant für die optimale Langfristrendite ist, der kann ebenso gut auf einen Auszahlplan zurückgreifen, der sich bei jedem Aktienfonds implementieren lässt.  Es muss also nicht unbedingt ein Dividendenfonds sein. Übrigens: Wer glaubt, dass das Dividendenfonds seit Jahrzehnten in Europa etabliert sind, dem sei verraten, dass wir erst im April 2013 die beiden Morningstar Kategorien "Aktien Dividenden global" und "Aktien Dividenden Europa" ins Leben gerufen haben. Vorher gab es keine hinreichend kritische Masse an entsprechenden Fonds, um ihnen spezielle Kategorien zuzuweisen. Dividendenfonds sind also ein relativ junges Phänomen - ganz im Gegensatz zum Phänomen Dividende an sich. 

Für Langfristsparer ist der Gesamtertrag entscheidend

Diese beiden Anforderungen, langfristiger Gesamtertrag versus maximale Ausschüttung, führen wiederum zu zwei höchst unterschiedlichen Anlegertypen: Langfristanleger, die noch in der Investitionsphase sind, sehen Dividenden als Stabilitätskriterium an. Sie haben den langfristigen Total Return im Blick. Ihnen ist gewissermaßen die Taube auf dem Dach (die Wiederanlage) wichtiger als der Spatz in der Hand (die Ausschüttung). Ein Langfristanleger muss sicher sein, dass sein Geld für ihn arbeitet. Was wiederum bedeutet, dass für ihn Kapitalerträge und reinvestierte Dividenden essentiell sind, Ausschüttungen dagegen regelrecht schädlich. Denn was einmal auf dem Konto landet, kann nicht als reinvestierter Euro oder Franken wieder (und wieder und wieder) für ihn arbeiten. Wer in der Kapitalaufbauphase ist, sollte also auf thesaurierende Fonds setzen; bei ihnen kommt der Zinseszinseffekt zum Tragen. 

Wir vertiefen in den kommenden Tagen das Thema Dividenden-Aktien und Dividenden-ETFs. Darüber hinaus präsentieren wir eine Auswahl an Mischfonds, die durchaus das Zeug haben, Anlegern regelmäßige Ausschüttungen zu liefern und zugleich das Kapital nicht bzw. nicht stark anzuzapfen. Zur Einstimmung präsentieren wir Ihnen allerdings zunächst eine Check-Liste zu Dividenden-Investments. Lesen Sie hier weiter.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich