Börsenpsychologie: "Unser Verstand kann uns austricksen"

Unter dem Begriff "Behavioural Finance" werden Psychologie und Börse zusammengefasst. Die junge Wissenschaft versucht, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Morningstar interviewte Christian Elsmark, Geschäftsführer Europäische Aktien bei JP Morgan Fleming.

Adriaan Bonauer, 23.07.2001
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Herr Elsmark, Sie sind ein Verfechter der Behavioural-Finance-Theorie. Was ist unter diesem Analyseansatz zu verstehen?

Behavioural Finance geht von der einfachen Theorie aus, dass die Investoren an der Börse nicht rational sind und dass Spekulieren auf steigende Kurse riskant und deswegen nur eingeschränkt möglich sind. Wir sind alle menschliche Wesen und unsere Gefühle über- und unterreagieren auf Marktinformationen. Kurz gesagt, wird eine Aktie nicht zu dem Preis gehandelt, den sie wert ist, sondern zu dem, den die Anleger glauben, dass sie wert ist.

Wie kann der

Anleger die Erkenntnisse nutzen?

Unser Verstand kann uns austricksen. Denken Sie beispielsweise an unsere Gefühle, wenn Sie Geld verlieren. Typischerweise ist das Gefühl beim Verlust viel stärker als bei einem gleich hohen Gewinn. Das läßt viele Anleger viel zu lange an Verlustbringern festhalten als es gut wäre. Und gleichzeitig verkaufen sie ihre Gewinnertitel zu früh, nicht weil sie aufgehört hätten zu steigen, sondern weil sie Gewinne sichern wollen. Wenn die Investoren dies erkennen, werden sie lernen, mit ihren Gewinnern zu laufen und ihre Verlierer schneller aus ihren Portfolios zu werfen.

Besteht nicht die Gefahr, dass durch den Ansatz der Herdentrieb bei Profis wie Privaten weiter angestachelt wird?

Wertpapiere, die von einer positiven Einstellung der Anleger (oder durch Herdentrieb) unterstützt werden, erleben in der Tat Zeiten von besserer Kursentwicklung. Investoren müssen erkennen, dass diese Zeiten normalerweise gemäß einer Überreaktion zu bestehenden Mustern auftreten. Mit im Gegensatz zum Markt steigenden Bewertungen nimmt das Risiko einer Enttäuschung zu, so wie irgendwelche schlechten Neuigkeiten zu einem dramatischen Einbruch der Kurse führen. Investoren müssen erkennen lernen, wann eine Growth-Aktie zu einer Glamour-Aktie wird – und wann ein Wert seine beste Zeit schon hinter sich hat.

Welche Produkte entsprechen der Behavioural-Finance-Methode?

Ein gängiger Vorwurf ist, dass die Behavioural-Finance-Theorie und die Umsetzung in Produkte nur wenig verbunden sind. Wir bei JP Morgan Fleming Asset Management erkennen, dass jeder Gedanke an „Style-Fonds“ bereits ein Element von Behavioural Finance enthält. Wir glauben, einfach gesagt, dass an den Unzulänglichkeiten im Aktienmarkt das Investorenverhalten Schuld hat und dass diese Unzulänglichkeiten am stärksten ausgedrückt werden durch die beiden Extreme des Investmentuniversums Growth und Value. Dafür bieten wir unseren Kunden Zugang zu diesen beiden Alternativen durch den FF-European Strategic Value Fund und den FF-European Strategic Growth Fund.

Wie kann der Investor aus dem Angebot das Richtige auswählen?

Ich bin zuversichtlich, dass Anleger bessere Entscheidungen treffen können, wie sie Geld ausgeben und Geld sparen. Jedenfalls ist es eine persönliche Entscheidung, wie viel und wie sie sparen. Der Schlüssel ist, Investment-Entscheidungen nicht zu verschieben. Um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, stellen Sie sich alle Ihre Möglichkeiten vor, wie Sie reagieren könnten und dann lehnen Sie einfach all jene ab, von denen Sie glauben, dass sie nicht zu Ihnen passen. Für langfristige Investoren ist es empfehlenswert, sowohl auf das Beste aus dem Wachstumsbereich als auch aus dem Valuebereich auszuwählen.

Warum gibt es von JP Morgan Fleming keinen Behavioural-Finance-Fonds, wenn das Konzept doch viel versprechend sein soll?

Wir haben deshalb keinen Behavioural Finance-Fonds im Angebot, weil die Festlegung der Ziele eines solchen Fonds für unsere Kunden nicht immer klar ersichtlich wäre. Wir haben jedoch Fonds, die den Großteil ihres Mehrwerts durch die Erkenntnis generieren, dass Aktienkurse nicht nur von Fundamentaldaten bestimmt werden, sondern auch von Überreaktionen der Anleger auf Nachrichten.

Zwei Mitbewerber bieten spezielle Fonds, die sich auf die noch junge Wissenschaft stützen. Welche Vorteile haben die Fonds von JP Morgan Fleming?

Als Geschäftsführer Europäische Aktien bei JPMorgan Fleming bin ich fest davon überzeugt, dass unsere Kunden ein gutes Verständnis dafür haben müssen, wie wir ihr Geld anlegen. Dies ist eine Frage des Vertrauens, oder wie die Amerikaner gerne sagen, der „treuhänderischen Verantwortung“. Einfach gesagt ist der Vorteil unserer Fonds, dass die Anleger wissen, was sie bei uns kaufen. Wir sind bei der Definition unsere Tuns recht streng. So sind zum Beispiel unsere Stilfonds (FF-European Strategic Growth und FF-European Strategic Value) klar definiert als Fonds, die überdurchschnittliche Wertentwicklung durch Stilorientierung anstatt spezifischer Titelauswahl erreichen wollen. Den Mehrwert liefern wir mit der Erkenntnis, dass Marktanomalien an den extremen Value- bzw. Growth-Rändern des Marktes am Ausgeprägtesten sind. Die Gründe für diese Anomalien sind psychologische Irrtümer oder Anlegerverhalten. Der diesen Fonds zugrundeliegende Anlageprozess wird seit 1993 angewandt.

Trifft es zu, dass die Umschlagshäufigkeit bei diesen Fonds höher ist als bei vergleichbaren Produkten?

Ja, unsere stilorientierten Fonds haben einen höheren Tracking Error als andere europäische Fonds die wir unseren Kunden anbieten. Typischerweise haben die Stilfonds einen Tracking Error von ca. acht Prozent, während unsere Core-Fonds nur etwa 2,5 – 4 Prozent Tracking Error aufweisen. Interessanterweise erhält man durch Kombination unserer Stilfonds einen Tracking Error von zirka vier Prozent.

Die Differenzierung zwischen Investmentstilen wie Growth und Value hat für den Anleger zur Folge, dass er sich für eine Variante entscheiden muss. Welche Kriterien sollte er hierbei beachten?

Zunächst muss der Anleger anerkennen, dass sowohl Growth als auch Value sich auf lange Sicht besser entwickeln als der Index. Wir empfehlen daher für die meisten Anleger eine Anlage in beiden Fonds mit einer regelmäßig angepassten Gewichtung von je 50 Prozent. Für Anleger, die bereits andere Fonds in ihrem Portfolio haben, empfehlen wir die Anlage in einem unserer Stilfonds zur Verbesserung des Chance-Risikoprofils des Gesamtportfolios. Wenn zum Beispiel alle Investments bislang in Growth-Fonds getätigt wurden, bietet sich eine Anlage im FF-European Strategic Value-Fonds an. Das Entscheidende für alle Anleger ist sicherzustellen, dass ihre Investments breit gestreut sind, nicht nur im Hinblick auf Vermögenswerteaufteilung, Länder- und Branchengewichtung, aber auch bezüglich des Anlagestils.

Ist es nicht bequemer, die Auswahl zwischen wachstumsorientierten und werthaltigen Titeln dem Fondsmanager zu überlassen und sich deshalb auf einen universalen, breiter aufgestellten Fonds zu konzentrieren?

Ob ein Anleger sich dafür entscheidet, seine eigenen Wachstums- und Substanztitel auszuwählen, ist eine Frage des Könnens und des Zeitaufwandes. Selbst der klügste Mensch kann beim Geld dumme Fehler machen. Wenn Sie zu den Anlegern gehören, die an enttäuschenden Aktien festhalten, bis es richtig wehtut, schlage ich vor entweder die eigene, menschliche Fehlbarkeit anzuerkennen und den Anlagestil entsprechend anzupassen, oder sich einen professionellen Berater mit einer klaren und disziplinierten Philosophie wie der unseren zu suchen.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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