Aktienanalyse der Woche: Amazon.com

Amazon ist ein typischer Krisengewinnler, auch wenn die Margen des Online-Händlers kurzfristig leiden werden. Auf dem aktuellen Niveau ist die Aktie fair bewertet. Die Aktie der Woche ab dem 25. Mai 2020.

R.J. Hottovy, CFA 25.05.2020
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Amazon ist ein typischer Krisengewinnler, auch wenn die Margen des Online-Händlers kurzfristig leiden werden. Wir glauben, dass Änderungen im Verbraucherverhalten im Zusammenhang mit COVID-19 dazu beitragen werden, Amazons Online-Handel und Einnahmen aus Cloud-Diensten zu beschleunigen, was teilweise durch die kurzfristigen Ausgaben im Zusammenhang mit COVID-19 gebremst wird.

Im Fall von Amazon glauben wir nicht, dass traditionelle Kurs/Gewinn-Verhältnis oder EBITDA-bezogene Kennzahlen aussagekräftig sind, da sich die kurzfristigen Investitionen voraussichtlich auf die kurzfristigen Margen auswirken werden.

Warum wir die Fair Value Schätzung für Amazon erhöhen 

Dennoch sind wir der Meinung, dass Amazon aufgrund seines Wide Moat Ratings, seiner aussagekräftigen Wachstumsmöglichkeiten und seines längerfristigen Margen-Expansionspotenzials einen Bewertungsaufschlag rechtfertigt. Daher haben wir am 7. Mai unsere Fair Value Schätzung für die Amazon-Aktie von 2.400 USD auf 2.500 USD pro Aktie im Anschluss an die Aktualisierung der Zahlen für das erste Quartal 2020 vorgenommen.

Wir gehen davon aus, dass die COVID-19-bezogene Nachfrage den Online-Handel und das Wachstum der Cloud-Dienste in diesem Jahr vorantreiben wird. Für das Gesamtjahr erwarten wir ein Umsatzwachstum von rund 26%. Wir haben auch unsere Prognose für das durchschnittliche jährliche Fünfjahres-Umsatzwachstum von 15% auf 17% angehoben, was auf die steigenden Aktivitäten von Amazon Prime Mitgliedern zurückgeht, auf höhere Verkäufe von Drittanbietern, den Verkauf digitaler Inhalte, die internationale Expansion und aufstrebende Geschäftssegmente wie Werbung und Technologielizenzen. 

In Bezug auf Amazons Verkaufsmix prognostizieren wir für die nächsten fünf Jahre ein jährliches Wachstum der Online-Einzelhandelseinnahmen von 15%, was unter unserer Prognose für das globale Branchenwachstums (im niedrigen zweistelligen Prozentbereich) liegt. Indes ist dies zum Teil ein Nebenprodukt von Amazons strategischen Schwenk hin zum Marktplatz für Drittanbieter. Kleinere Segmente wie physische Geschäfte, Dienstleistungen von Drittanbietern, Abonnementdienste, AWS und Werbung im gleichen Zeitraum dürften um 5%, 16%, 20%, 26% bzw. 30% wachsen. 

Wir prognostizieren, dass sich die Bruttomargen in den nächsten fünf Jahren auf 42,1% verbessern werden, verglichen mit 41,0% im Jahr 2019. Amazons wachsende Schlagkraft bei Lieferanten und Inserenten, ein höherer Anteil von Dritteinheiten im Verkaufsmix, die verstärkte Präsenz von AWS und neue Angebote von Werbedienstleistungen dürften höhere Bruttomargen ermöglichen. Wir prognostizieren auch eine Steigerung der Betriebsmarge durch die Erhöhung des Kostenhebels (insbesondere in den Bereichen Marketing und allgemeine und administrative Kosten), den Beitrag von AWS und die Beschleunigung des Verkaufs von Einheiten Dritter. 

Unser Modell sieht vor, dass sich Amazon in den nächsten fünf Jahren einer GAAP-Betriebsmarge von 8% nähert, und zwar auf der Grundlage seiner starken Wettbewerbspositionen bei AWS und im nordamerikanischen E-Commerce sowie auf der Grundlage sich abzeichnender Erfolge internationalen Märkten. 

Economic Moat 

Die traditionelle Einzelhandelsbranche („Brick and Mortar“) hat in den vergangenen Jahren eine Phase des Wandels durchlaufen, ein Trend, der sich wahrscheinlich fortsetzen wird, wenn sich die Branche von COVID-19 erholt. Angesichts der nicht existenten Wechselkosten für Kunden und des intensiven Wettbewerbs haben wir bereits den Exit von Anbietern wie Circuit City, Linens 'n Things, Borders und RadioShack aus der Einzelhandelslandschaft gesehen, während eine Vielzahl anderer Einzelhändler Schwierigkeiten haben, die sich verschlechternden Fundamentaldaten aufzuhalten. 

Die Marktkonsolidierung unter großen Einzelhändlern wie Walmart und Costco hat bei diesem Trend eine Rolle gespielt, ebenso wie die Direktinvestitionen der wichtigsten Hersteller in den Endverbraucherbereich. Wir betrachten Amazon jedoch als die disruptivste Kraft im Einzelhandel. Seine Betriebseffizienz, der Netzwerkeffekt und der Fokus auf den Kundenservice verschaffen seinen Plattformen nachhaltige Wettbewerbsvorteile, die traditionelle Einzelhändler nicht erreichen können; dies dürfte in den kommenden Jahren zu weiteren Marktanteilsgewinnen führen. 

Trotz Fulfillment, Technologie (Hardware-Geräte, Alexa und AWS) und Investitionen in Inhalte sowie zusätzlicher Ausgaben für COVID-19 gehen wir davon aus, dass Amazon über einen längeren Zeitraum Erträge erzielen kann, die über unserer Kapitalkostenannahmen hinausgehen und somit unser Wide Moat Rating rechtfertigen. 

Einer der Hauptvorteile von Amazon ist die operative Effizienz seines Erfüllungs- und Vertriebsnetzes, das die Nachfrage der Verbraucher nach kostenlosem und beschleunigtem Versand befriedigt (einschließlich erweiterter Ein-Tages-Lieferoptionen für Prime Mitglieder ab 2019). Dadurch kann Amazon einen starken Cashflow generieren, der wiederum in Werbung, Kundenservice und Website-Verbesserungen reinvestiert werden kann, die den Marktplatz robust und die Kundentreue stark halten. Tatsächlich glauben wir, dass Amazons Marke inzwischen für niedrige Preise, eine große Auswahl, Bequemlichkeit und hervorragenden Kundenservice steht - eine seltene Kombination unter Einzelhändlern. 

Amazon profitiert auch von einem starken Netzwerkeffekt, da niedrige Preise, eine große Bandbreite an Produkten und eine benutzerfreundliche Oberfläche Millionen von Kunden anziehen, die im Gegenzug Händler aller Art auf Amazon.com locken, darunter Drittverkäufer auf Amazons Marktplatz-Plattform (die 53% der 2019 verkauften Einheiten ausmachten) und Großhändler/Hersteller, die direkt an Amazon verkaufen. 

Unseren Untersuchungen zufolge ist der Prozentsatz des durch die Online-Suche verursachten Traffics in den letzten Jahren zurückgegangen, während andere Online-Händler stärker von Treffer über Suchmaschinen abhängig geworden sind. Das weist darauf hin, dass Amazon zunehmend zum Ausgangspunkt für Online-Einkäufe wird, ähnlich wie ein Ankermieter in einem Einkaufszentrum. Darüber hinaus nehmen Kundenbewertungen, Produktempfehlungen und Wunschlisten an Relevanz zu, da immer mehr Verbraucher und Produkte zur Amazon-Plattform hinzugefügt werden, was den Netzwerkeffekt weiter verstärkt. 

Geschäftsstrategie und Ausblick 

Die Disruption des Einzelhandels durch Amazon ist gut dokumentiert, aber das Unternehmen findet weiterhin Wege, sein Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Seine betriebliche Effizienz, der Netzwerkeffekt und ein immaterieller Vermögenswert der Marke verleihen seinen Marktplätzen nachhaltige Wettbewerbsvorteile, die nur wenige, wenn überhaupt, traditionelle Einzelhändler erreichen können. 

Die Kombination aus wettbewerbsfähiger Preisgestaltung, beispiellosen Logistikfähigkeiten und -geschwindigkeit und einem Kundenservice auf hohem Niveau macht Amazon zu einem zunehmend wichtigen Vertriebskanal für Verbrauchermarken (insbesondere angesichts der COVID-19-Betriebsbeschränkungen, die physische Einzelhändler behindern). Selbst wenn mehr Einzelhändler online expandieren wollen, glauben wir, dass Amazon sein Angebot für die Verbraucher durch den beschleunigten Versand von Prime, eine wachsende Bibliothek digitaler Inhalte und die Vorteile für neue Mitglieder aufrechterhalten wird. 

Mit Hilfe von mehr als 480 Millionen geschätzten aktiven Nutzern weltweit, 155 Millionen Prime-Mitgliedern und Investitionen in Infrastruktur, Technologie und Inhalte besitzt Amazon einen der stärksten ökonomischen Moats im Verbrauchersektor und wird wahrscheinlich den Einzelhandel, die digitalen Medien, die Unternehmenssoftware und andere Kategorien in den kommenden Jahren weiter umgestalten.

Die Amazon Aktie ging am 22. Mai an der Nasdaq mit einem Kurs von 2.436,88 US-Dollar aus dem Handel. Damit ist die Aktie annähernd fair bewertet, wie aus unserem 3-Sterne-Rating hervorgeht. Die vollständige Analyse in englischer Sprache sowie zahlreiche Grafiken und Charts finden Sie hier.

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Über den Autor

R.J. Hottovy, CFA  ist Aktienanalyst bei Morningstar