Vorsicht, Markteinschätzung!

Anleger sollten die Analysen der Fondsanbieter mit Vorsicht genießen. Kombiniert mit hohen Mittelzuflüssen sind diese verkaufsfördernde Maßnahmen ein explosives Gemisch in Anlegerportfolios. 

Ali Masarwah 07.10.2013
Facebook Twitter LinkedIn

Scheinalternativen begegnen uns als Konsumenten im Leben zuhauf. Werbung ist mal plump, mal subtil formuliert. Sie drängt uns dazu, bestimmte Produkte und Dienstleistungen anderen vorzuziehen. Über die laut schreiende Werbung brauchen wir uns nicht zu sorgen, denn sie durchschauen wir schnell. Problematisch sind die subtilen Strategien, etwa die raffinierte Anordnung von Waren im Supermarktregal oder die gezielte Verbreitung von verführerischen Düften im Umfeld von Kaffeehäusern, Bäckereien oder Süßwarenläden. Sie leiten uns zum scheinbar alternativlosen Ziel.

Nicht anders verhält es sich mit der Bewerbung von Finanzprodukten. Die Fonds- und Versicherungsindustrie gehen mal plump, mal subtil vor, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit von Anlegern zu erheischen. Um den Produktverkauf geht es letztlich immer. Dafür werden Anleger oft vor Scheinalternativen gestellt. Zu den subtilen Verführern zähle ich die weit verbreiteten Markteinschätzungen, die Fondsanbieter regelmäßig veröffentlichen und von den Medien oft aufgegriffen werden. 

Die Finanzindustrie geht mal plump, mal subtil vor, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit von Anlegern zu gewinnen, verkaufen will sie in jedem Fall.

Warum? Auch wenn derartige Analysen die Investmententscheidungen des Fondsmanagements widerspiegeln mögen und damit in gewisser Weise „authentisch“ sind, fördern sie ein prozyklisches Anlageverhalten und sind damit zumeist ein schlechter Ratgeber. Auf den Punkt gebracht: Der Informationsgehalt von Markteinschätzungen ist in aller Regel bereits in den Wertpapierkursen verarbeitet. Antizyklisch geprägte Empfehlungen sind dagegen Mangelware. Dieses Phänomen wollen wir an einem aktuellen Beispiel aufzeigen.

Europa heute ... alternativlos?

Kommen wir zu dem heute gängigen Sujet: „Europa kommt aus der Talsohle, also sollten Anleger europäische Aktien kaufen“. Europäische Aktien werden als „Neuentdeckung“ gehandelt. Die meisten Fondsgesellschaften argumentieren dabei aus der Makrosicht. „Die jüngsten Konjunkturdaten aus der Eurozone senden positive Signale, Anleger können vom Aufschwung profitieren, wenn sie jetzt Euroaktien kaufen“, heißt es bei der Deutschen Asset & Wealth Management. Auch JPMorgan hebt in einer aktuellen Einschätzung hervor, dass sich die Lage von europäischen Unternehmen im Zuge des sich abzeichnenden Endes der Rezession verbessere. Die mehr oder weniger explizite Empfehlung lautet: Europa übergewichten!

Das ist tückisch, da es sich hier um ein Nullsummenspiel handelt. Die Summe aller im Portfolio enthaltenen Positionen beträgt nun einmal hundert Prozent (wir lassen die Inhaber von Hebelprodukten hier bewusst außen vor). Die Übergewichtung Europas ginge also mit einer Untergewichtung anderer Portfoliobestandteile einher. Zwingend nötig erscheint uns das nicht.

Markteinschätzungen von Fondsanbietern sind auch deshalb tückisch, weil sie nichts anderes besagen, als dass Fonds schon längst "da" sind. Das zeigt die jüngste Umfrage der Bank of America Merrill Lynch unter global anlegenden Fondsmanagern. Demnach zählen Eurozonen-Aktien zu den größten Übergewichtungen, wenn man den historischen Durchschnitt zum Maßstab nimmt. Emerging Markets werden zurzeit dagegen stark untergewichtet, wie aus der unteren Grafik hervorgeht.

Chart: Womit halten es heute global investierende Fondsmanager?

 

Quelle: BoAML, Global Fund Manager Survey, September 2013

Ein weiterer Grund für Zurückhaltung ist das derzeitige Investitionsverhalten von Privatanlegern. Denn das prozyklische Kaufverhalten von Fondsinvestoren gilt als Warnhinweis par excellence. Fondsanleger stoßen heute in großem Stil Aktien aus Schwellenländern ab und kaufen im Gegenzug Europa- und – seit jüngstem – Eurozonenfonds für Standardwerte. Das sollte nicht als Signal zum Einstieg missverstanden werden!

Mittelflüsse in Fonds mahnen zur Vorsicht

Wie aus unserer monatlichen Mittelflussstatistik hervorgeht, wurden im Juli 1,4 Milliarden und im August 1,6 Milliarden Euro in europäische Standardwertefonds investiert. Seit 2007 wurde in keiner Monatsperiode in dieses Segment derart viel angelegt wie in den beiden Sommermonaten. Auch Fonds für Eurozonen-Standardwerte haben im August europaweit 200 Millionen Euro an Zuflüssen verbucht, während seit 2007 Abflüsse von 21,46 Milliarden Euro zu Buche schlugen (lesen Sie mehr zu den jüngsten pan-europäischen Absatzdaten für Fonds hier).

Natürlich sind wir nicht im Besitz der berühmten Glaskugel und können nicht vorhersagen, wohin sich die Aktienkurse in Zukunft bewegen werden. Allerdings spricht die Tatsache, dass Fondsanleger in Europa nunmehr den Heimatmarkt entdeckt haben, dafür, dass Vorsicht angesagt ist. 

Wo stehen die europäischen Aktienmärkte heute? Wer heute einsteigen will, sollte sich bewusst sein, dass er ziemlich spät dran ist. Nimmt man die Zeit seit dem legendären Euro-Bekenntnis von EZB-Präsident Mario Draghi Ende Juni 2012 als Startpunkt für eine Kurserholung, dann sind die Märkte schon sehr weit vorausgeeilt. Der Dax legte vom 1. Juli 2012 bis zum 5. Oktober dieses Jahres um 34,4 Prozent zu, der EURO STOXX 50 stieg um 33,7 Prozent, der MSCI Europe immerhin um 26,3 Prozent.  

Seit dem Euro-Schwur Draghis sind die Aktienkurse weit enteilt

Jenseits des Anlegersentiments sprechen auch die Bewertungen nicht unbedingt für einen Einstieg. Aktien sind per se alles andere als billig. Ein Vergleich der Bewertung von Unternehmen in vier großen Indizes zeigt, dass Aktien in den Industrieländern in den vergangenen 24 Monaten deutlich teurer geworden sind. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt im S&P 500 bei 15,2, beim MSCI Japan bei 14,4 und beim MSCI Europe bei 13,9. Deutlich vergünstigt haben sich indes seit 2010 die Bewertungen von Schwellenländer-Aktien. Im Schnitt liegt das geschätzte KGV im MSCI Emerging Markets derzeit bei 11,1. Das verdeutlicht die unten stehende Grafik über den Bewertungsverlauf dieser Märkte in den vergangenen drei Jahren.

Grafik: Die Bewertung globaler Aktienregionen im Vergleich

 

Quelle: Morningstar Direct.

Welche Branchen sind heute noch günstig?

Eine Differenzierung nach europäischen Branchen illustriert das Problem, das bewertungssensitive Anleger heute haben. Nimmt man unsere proprietäre Aktienanalyse und die daraus abgeleitete Kennzahl Kurs-Fair-Value-Verhältnis (KFVV) zum Maßstab, dann zeigt sich, dass europäische Aktien fast durch die Bank ihren fairen Wert erreicht haben. Ein KFVV von unter 1,0 signalisiert eine Unterbewertung, der Wert von 1,0 zeigt an, dass eine Aktie fair bewertet ist, ein Wert von über 1,0 deutet auf eine Überbewertung (lesen Sie mehr über unser Aktien-Research hier). Wie ein Blick auf den unteren Chart zeigt, sind Finanzdienstleister mit einem Kurs-Fair-Value-Verhältnis (KFVV) von 1,14 per Ende September europaweit am höchsten bewertet.

Grafik: Die Bewertung von ausgewählten europäischen Branchen im September 

Auch Gesundheitsunternehmen und der Bereich Technologie & Medien liegen mit KFVVs von jeweils 1,09 über ihrem fairen Wert. Nur leicht überbewertet sind Rohstoffaktien, Konsumtitel und Banken. Unter ihrem fairen Wert notieren nur Industrieaktien und die Branche Energie/Versorger. Und vielleicht sind ja Aktien wie RWE oder E.ON aus nachvollziehbaren Gründen heute billig zu haben? Ungeachtet oder gerade wegen - der offensiven Bewerbung von europäischen Aktien sollten Anleger genau hinschauen.

Übrigens: Auch wenn Emerging Markets in der Breite günstig bewertet sind, zeigt sich eine markante Spreizung. Vergleicht man die großen vier BRIC-Märkte, dann zeigt sich, dass brasilianische und indische Aktien am teuersten sind. Das ist insofern bemerkenswert, als diese beiden Länder in erster Linie wegen großer sozialer Probleme und einem anämischen Wirtschaftswachstum von sich reden machen. Bei russischen Aktien, die mit einem KGV von 5 sehr günstig zu haben sind, winkt dagegen offenbar eine Diktatoren-Risikoprämie. Auch China-Aktien entlohnen das Risiko, das Anleger angesichts der Gefahr einer „harten Landung“ der Wirtschaft und der Probleme bei chinesischen Banken eingehen, noch relativ ordentlich. Es ist halt nicht immer so, wie es auf den ersten Blick erscheint!

Grafik: Die Bewertung ausgewählter Schwellenländer-Indizes

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich

© Copyright 2024 Morningstar, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Nutzungsbedingungen        Datenschutz-Bestimmungen        Cookie Settings        Offenlegung