Weltuntergang beim iShares Dax - aber nur für eine Woche

Zu- und Abflüsse institutioneller Investoren wirbeln den größten ETF in Europa kräftig durcheinander.

Ali Masarwah 04.05.2012
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Als die Handelsstatistiken zum ETF-Absatz im April am gestrigen Donnerstag die Runde machten, war die Aufregung groß: Der Absatz von europäischen Aktien-ETFs war im April eingebrochen: 5 Milliarden US-Dollar flossen einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge aus europäischen Aktien-ETFs ab. „Die wiederaufflammenden Sorgen um die Euro-Schuldenkrise haben im April Spuren am Markt für börsennotierte Indexfonds (ETFs) hinterlassen“, lautete das Fazit.

Derartige Interpretationen sind ein Beispiel dafür, dass es irreführend sein kann, tagesaktuelle Handelsdaten ad hoc zu interpretieren und nicht mittels qualitativer Analysen zu hinterfragen. Blicken wir auf die Geschichte hinter den nackten Zahlen, die Reuters dem Analysehauses ETF Global zuschreibt und die in etwa mit unseren eigenen Daten übereinstimmen. Die hohen Abflüsse aus Aktien-ETFs im April gehen im Wesentlichen auf einen Fonds zurück: den iShares Dax. Laut unseren vorläufigen Daten flossen knapp 3,6 Milliarden Euro zwischen Dienstag, dem 24. April, und Freitag, dem 27. April, aus dem größten ETF Europas ab. Das Vermögen des iShares Dax brach zwischen dem 20. und 27. April von 12,27 Milliarden auf 8,73 Milliarden Euro ein.

Wie sind diese Zahlen zu deuten? Haben Anleger Gewinne mitgenommen? Wurden Stopp-loss-Marken infolge der gestiegenen Volatilität gerissen? Droht die Eurokrise nach Meinung von Investoren den deutschen Aktienmarkt besonders hart zu treffen, die dann die Reißleine zogen? Handelte es sich angesichts der massiven Rückgaben gar um eine konzertierte Aktion tausender verunsicherter Anleger?

Weit gefehlt, die Gründe für die abrupten Geldflüsse sind viel banaler. Ein Blick auf den Ausschüttungstermin des iShares Dax-ETF offenbart, dass allem Anschein nach steuerliche Arbitrageure am Werk waren. Der iShares ETF hatte am 2. Mai seinen regulären jährlichen Ausschüttungstermin, an dem er die aufgelaufenen Dividenden auskehrte. Etliche große institutionelle Investoren haben im Vorfeld dieser Ausschüttung - offenbar aus steuerlichen Gründen - in den letzten Apriltagen „rechtzeitig“ ihre Anteile in großem Stil zurückgegeben. Am Tag nach der Ausschüttung begann das zuvor abgezogene Geld wieder in ähnlich großem Stil zurückzufließen: Am 3. Mai verbuchte der iShares-ETF rund 2,5 Milliarden Euro an Zuflüssen, wie aus den aktuellen Daten zum Fondsvermögen hervorgeht. Am Ende des gestrigen Handelstages waren wieder rund 10,9 Milliarden Euro im iShares Dax investiert.

In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die anderen ETFs, die den Dax 30 Index abbilden, interessant. Die anderen Produkte verzeichneten Ende April keine auffälligen Mittelbewegungen. Mit zwei Ausnahmen: Die beiden voll replizierenden ETFs der Sparkassentochter ETFlab konnten zeitgleich mit den sehr hohen Abflüssen aus dem iShares Dax ungewöhnlich hohe Zuflüsse verbuchen. In einer ansonsten unspektakulären Handelswoche mit niedrigen Zu- und Abflüssen sprang der Absatz der beiden ETFlab Dax-ETFs am Freitag vergangener Woche an: knapp 500 Millionen Euro flossen ihnen an diesem Tag zu. Den uns vorliegenden Schätzungen zufolge sank das Volumen des thesaurierenden ETFlab Dax-ETF am 3. Mai wieder um rund 200 Millionen Euro, also an dem Tag, an dem sich der iShares Dax von seiner abrupten Schrumpfkur teilweise erholte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Übrigens: Dass derartige statistische Ausreißer durchaus einen bleibenden Effekt haben können, zeigt das Timing der Steuer-Arbitrageure: Auch wenn die Aufholjagd sich in den nächsten Tagen beim iShares Dax fortsetzen und die verlorenen Gelder wieder komplett zurückfließen sollten, werden sämtliche Fondsstatistiken für den April 2012 durch diesen Sondereffekt verzerrt bleiben. Auf die hohen Abflüsse aus dem Dax im April werden hohe Zuflüsse im Mai folgen. Wir sind schon jetzt auf die Interpretation der ETF-Absatzzahlen gespannt, die in den kommenden Wochen und Monaten die Runde machen werden!

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich