Der Preis für Öl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) brach am 20. April dramatisch ein, ja, es passierte das Undenkbare: Der Ölpreis notierte im negativen Bereich. Am gestrigen Montag lag der Preis zeitweilig bei minus 40 Dollar. Das passierte erstmals in der Geschichte und sorgte entsprechend für Schlagzeilen. Doch wer sich jetzt anschickt, seine Badewanne Huckepack zur Tankstelle zu nehmen und für die Abholung von 200 Liter Benzin bezahlt zu werden, wird enttäuscht sein. Am 21. April zahlten Verbraucher in Deutschland gegen 11 Uhr am Vormittag für den Liter E10 im Schnitt 1,18 Euro. Auch in anderen Ländern war Gratistanken nicht möglich. Wie passt das mit den Nachrichten über Minuspreise zusammen?
Nun, dass der Benzinpreis an der Tankstelle putzmunter im positiven Bereich notiert, hat wenig mit den Öl-Kontrakten an den Terminmärkten zu tun. Anders formuliert: Zwischen dem Spotpreis und den Preisen von Termin-Kontrakten können mitunter Welten liegen, das war auch in Vor-Corona-Zeiten so, wird in der Krise allerdings derzeit auf die Spitze getrieben. Für uns Verbraucher hat das oftmals keine spürbaren Auswirkungen. Noch anders formuliert: Für den Erwerb von Öl wird nur derjenige bezahlt, der sich in Cushing, Oklahoma, einfindet und sich seine 1.000 Barrel abholt. (Ein Kontrakt entspricht 1.000 Barrel Öl, also in etwa 160.000 Liter, ein Tick mehr als die haushaltsübliche Abgabemenge.)
Die erratische Preisbildung am Ölmarkt reflektiert also das Geschehen an den Terminmärkten. Dass das Geschehen erratisch, aber nicht irrational ist, wollen wir hier kurz erläutern. Was wir seit gestern dort sehen, ist das Ergebnis eines Pokers der Ölhändler, das man auch als Reise-Nach-Jerusalem-Spiel bezeichnen könnte. Im Zuge der Coronakrise ist der Ölverbrauch in allen Wirtschaftszweiten dramatisch gefallen. Das hat dazu geführt, dass die Auslastung der Speicher im Drehkreuz Cushing/Oklahoma, dem Erfüllungsort für WTI-Kontrakte, rapide ansteigt. Dass die Speicherauslastung in den letzten Wochen weltweit angestiegen ist, ist ein fundamentaler Faktor, der auf den mangelnden Ölbedarf in Zeiten der Krise zurückzuführen ist.