Die deutschen Aktien- und Anleihemärkte reagierten am Dienstag negativ auf den unerwarteten politischen Rückschlag für Friedrich Merz in seinem Kampf um das Amt des deutschen Bundeskanzlers – stabilisierten sich jedoch später, nachdem er sich in einer zweiten Abstimmung eine parlamentarische Mehrheit sichern konnte.
Merz, Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union (CDU), wurde am Dienstagnachmittag mit 325 Stimmen im Bundestag zum Kanzler gewählt – er lag damit über der für die absolute Mehrheit erforderlichen Zahl von 316 Stimmen. Dem Ergebnis ging ein dramatischer Vormittag in Berlin voraus, an dem Merz zunächst in der ersten Wahlrunde nicht die erforderliche parlamentarische Mehrheit für das Amt des Kanzlers hatte erreichen können. Trotz einer Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD, die 328 der 630 Sitze im Bundestag halten, erhielt Merz in der ersten Runde nur 310 Stimmen und verfehlte damit die erforderlichen 316 Stimmen um sechs Stimmen.
Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Kanzlerkandidat in der ersten Runde keine Mehrheit erzielen konnte, was einen politisch brisanten Start für Merz’ Kanzlerschaft bedeutet.
„Das beispiellose Scheitern von Merz, im ersten Wahlgang zum deutschen Bundeskanzler gewählt zu werden, deutet darauf hin, dass er nicht auf die volle Unterstützung der beiden Parteien zählen kann, die seine Koalition stützen, nämlich seine eigene Mitte-Rechts-Partei CDU/CSU und die Mitte-Links-Partei SPD“, so Holger Schmieding, Chefökonom bei der Berenberg Bank.
Märkte zunächst im Minus, später Erholung
Der DAX war nach Bekanntgabe der Ergebnisse um rund 1 % gefallen, während der breiter gefasste STOXX Europe 600 Index um 0,5 % nachgab. Nach der erfolgreichen Wahl von Merz in der zweiten Runde erholten sich die Märkte wieder etwas. Der DAX konnte seine Verluste reduzieren und schloss mit einem Minus von 0,5 %.
Von der politischen Pattsituation waren insbesondere Branchen betroffen, die von staatlichen Aufträgen und Infrastrukturausgaben abhängig sind. Verteidigungsaktien, die mit Merz’ vorgeschlagenem Investitionsplan in Höhe von 1 Billion Euro mit höheren Ausgaben gerechnet hatten, verzeichneten deutliche Kursverluste.
Rheinmetall, Hensoldt und Renk verloren bis zu 4 %, bevor sie sich im weiteren Handelsverlauf wieder erholten. Bei Börsenschluss lag Rheinmetall mit 0,68 % im Plus, während Renk 1,71 % zulegte.
Die Renditen deutscher Anleihen waren ebenfalls zunächst niedriger, da die Unsicherheit über die politische Führung in Deutschland Sorgen über die künftige Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik aufkommen ließ. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen sank um etwa 2 Basispunkte, erholte sich aber später und notierte im Tagesverlauf weitgehend unverändert.
Der Euro blieb trotz der Nachrichten gegenüber dem US-Dollar stabil. Der EUR/USD-Wechselkurs stieg im Vormittagshandel um 0,2 % auf 1,1338 USD. Marktbeobachter führten den Anstieg auf die allgemeine Marktdynamik zurück, darunter die Erwartungen hinsichtlich der Politik der US-Notenbank und die globale Risikostimmung.
Wie geht es weiter für Merz und die Märkte?
Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten geht Schmieding von Berenberg davon aus, dass Merz seine geplante politische Agenda, einschließlich des umfangreichen öffentlichen Investitionsprogramms, vorantreiben wird. Normale Parlamentsabstimmungen erfordern im Gegensatz zur Kanzlerwahl nur eine einfache Mehrheit und finden nicht geheim statt, was die Regierungsarbeit nach der Amtseinführung des Kanzlers erleichtern sollte.
Dennoch hat das Scheitern in der ersten Runde Fragen zur Einheit der Koalition von Merz und zur Disziplin seiner parlamentarischen Basis aufgeworfen, so Schmieding in einer Research-Notiz. „Einige SPD-Abgeordnete könnten die geplante Reform der Grundsicherung (“Bürgergeld”) und strengere Einwanderungskontrollen ablehnen. Einige Konservative könnten auch weiterhin Einwände gegen die Lockerung der Schuldenbremse haben“, sagte er. Dies könnte in Zukunft zu Reibungen führen.
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