Einstiegschance für Fondsanleger?

In Europa hat es in den vergangenen Wochen an den Börsen teilweise kräftig gerappelt. Einige Überlegungen zur Frage, ob sich heute der Einstieg lohnt.

Ali Masarwah 29.08.2014
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Im ersten Teil des Artikels über die Märkte im Sommer 2014 haben wir eine Bestandsaufnahme unternommen (lesen Sie hier mehr). Im zweiten Teil haben wir einen Blick auf die Rendite-Risiko-Bilanz einiger großer Morningstar-Kategorien geworfen (hier gelangen Sie zum Artikel). Nun blicken wir auf die Perspektiven für Aktieninvestments.

Aufmerksame Leser von morningstar.de werden sich angesichts der Überschrift dieses Artikels vermutlich erstaunt die Augen reiben: Haben wir hier, im Schatten des Bankentürme in Frankfurt, die Glaskugel gefunden, mit der sich die Richtung der Märkte deuten lässt? Wir können Sie beruhigen bzw. müssen Sie enttäuschen: nein, wir wissen nicht, wie sich die Märkte morgen entwickeln werden. Wir betreiben viel Research in Sachen Fonds, Aktien, Bonds. Dennoch würden Sie bei Morningstar nie eine DAX/SMI/Euro Stoxx steigt-zum-Jahresende-auf-XY-Punkte-Prognose finden. Warum?

Im Gegensatz zum klassischen Sell-side Brokerage der Banken halten wir es für vermessen, kurzfristig die Richtung eines Marktes nicht nur zu deuten, sondern auch zu quantifizieren. Die schlechten Ergebnisse taktischer Investment-Ansätze legen Zeugnis über die Unfähigkeit auch von Profi-Anlegern ab, erfolgreich die Märkte zu timen.

Es gibt immer gute Gründe für Aktienkäufe - auch im September

Die Stimmen am Markt über die künftige Richtung der Aktiemärkte zeichnen sich heute – erwartungsgemäß – durch eine hohe Vielfalt aus. Eine besonders große Rolle scheint vielen Analysten der Kalendermonat zu spielen. Interessanterweise glauben offenbar viele immer noch an einen „Horrormonat September“ (unsere etwas ältere Einschätzung zu diesem Thema, die nach wie vor Gültigkeit besitzt, finden Sie hier).

Einige Einschätzungen haben wir zusammengetragen. „Der DAX 30 legte im Schnitt der letzten 25 Jahre von Anfang Oktober bis Ende April des Folgejahres um mehr als 13,5 Prozent zu. Wer also schon im September einsteigt, hat die Chance, diesen Anstieg voll mitzunehmen“, glaubt Santander Asset Management. „Das Risiko einer Zinsanhebungsrunde ist bekannt – und daher nicht bedrohlich“, sekundiert die Investment-Plattform MOVENTUM.

Nur scheinbar pessimistischer gibt sich der süddeutsche Vermögensverwalter Gecam: „Solange jedoch der Ukraine-Konflikt weiter eskaliert, könnte die relative Schwäche anhalten. Rückschläge hieraus sollten jedoch zu strategischen Käufen genutzt werden“. Waschechte Pessimisten sind heute dagegen eher selten zu finden. Im Bären-Lager machen sich bereits seit Monaten die Experten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) breit. Die Aktienexperten dort halten eine Untergrenze von 8.300 Punkten beim DAX in den kommenden Monaten für möglich. 

Wir bei Morningstar beschränken uns auf eine bewertungsorientierte Sicht der Dinge und verzichten auf Punktprognosen. Blicken wir zunächst für eine Standortbestimmung auf die (historischen) Kurs-Gewinn-Verhältnisse einiger Indizes. Die untere Grafik zeigt, dass die Kursbewegungen in diesem Sommer im Langfristvergleich bei den meisten Indizes aus Bewertungssicht nur Mini-Rücksetzer waren.

Grafik: Sommerkorrektur war eher ein Schluckauf 

Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis von amerikanischen, europäischen und globalen Aktien ist zuletzt nur minimal zurückgegangen; bei Schwellenländern, die im Sommer sogar kräftig zugelegt haben, zeigt die Bewertung anhand des Durchschnitts-KGV des MSCI Emerging Markets sogar nach oben.

Die Bewertungen der Märkte sind also heute immer noch im Kontext des seit der zweiten Hälfte des Jahres 2012 laufenden Aktien-Aufschwungs zu sehen; sie entsprechen nicht einmal ansatzweise dem Bild des Jahres 2011 und schon gar nicht dem des Krisenjahres 2008, als die Bewertungen ungeachtet sinkender Unternehmensgewinne extrem günstig waren.

Aktien sind heute nach wie vor nicht billig, und wenn sich die Unkenrufe, wonach die Gewinnschätzungen der Unternehmen auch im kommenden Jahr scheibchenweise nach unten revidiert werden (müssen), dann werden Aktien auch bei einer weitaus schärferen Korrektur nicht zwangsläufig günstiger. (Sie wissen schon: Beim Kurs-Gewinn-Verhältnis spielt auch der Wert im Nenner eine gewichtige Rolle!) 

Morningstar Aktienanalyse für die Werthaltigkeit

Eine noch bodenständigere Sicht der Dinge als die KGV-Betrachtung ermöglichen unsere Kurs-Fair-Value-Schätzungen. Bei unserer Aktienanalyse steht der innere Wert eines Unternehmens im Mittelpunkt. Er wird anhand vieler Faktoren ermittelt, dazu gehören die zukünftigen Cashflows sowie die Wettbewerbssituation im Branchenumfeld. Besondere Bedeutung kommt der Sicherheitsmarge zu. Mit ihr versuchen wir, den Unsicherheitsfaktor zu bestimmen, der die Annahmen über ein Unternehmen beeinträchtigen kann.

Am Ende des Research-Prozesses steht die Bestimmung des fairen Werts, der ins Verhältnis zum aktuellen Aktienkurs gesetzt wird. Das ergibt die Kennzahl Kurs-Fair-Value-Verhältnis (KFVV). Ein KFVV von über 1,0 signalisiert, dass ein Unternehmen überbewertet ist. Ein Wert von exakt 1,0 drückt aus, dass es auf dem aktuellen Kursniveau fair bewertet ist, ein Wert von weniger als 1,0 deutet auf eine Unterbewertung.

Die untere Grafik illustriert unsere aktuellen Kurs-Fair-Value-Schätzungen. Sie untermauern die eher vorsichtige Einschätzung zur Attraktivität des Aktienmarkts. Per 30. Juni wiesen nach unserer Aktienbewertungssystematik die europäischen Märkte im Schnitt ein KFVV von 1,04 auf, was einer leichten Überbewertung entspricht. 

Grafik: Die Bewertungen der Märkte im Sommer 2014

Auf der teuren Seite waren in Europa dabei die Märkte Finnland (KFVV: 1,09), Norwegen (1,07), Portugal, Spanien (je 1,06), Deutschland und Schweden (je 1,05). Insofern können die überdurchschnittlich hohen Verluste beim DAX unter bewertungsbezogenen Gründen durchaus als gerechtfertigt bezeichnet werden. Günstiger (nicht: günstig) sind in Europa Aktien aus Frankreich (1,02) und Großbritannien (1,0).

Auch die internationalen Märkte sind nach wie vor ambitioniert bewertet: US-Aktien waren vor der Korrektur mit einem KFVV von 1,05 teurer als europäische Aktien. Internation am teuersten sind übrigens indische Aktien, die noch vor der Wahl von Regierungschef Narendra Modi im Mai reichlich Vorschusslorbeeren von Investoren erhalten haben und heute ein relativ hohes KFVV von 1,1 aufweisen.

Relativ günstig bewertet sind heute Aktien in Brasilien, die ein KFVV von 0,95 aufweisen, China und Australien (je 0,99). Regelrecht billig sind vor allem russische Aktien mit einem Durchschnitts-KFVV von 0,94. Spätestens an dieser Stelle und angesichts der bevorstehenden internationalen Sanktionen gegen Russland infolge der Einmischung in der Ukraine werden Anleger jedoch die durchaus valide Schlussfolgerung ziehen können, dass eine günstige Bewertung heute nicht zwangsläufig der Kursgewinn von morgen sein muss. In Zeiten unverändert ambitionierter Bewertungen sollten bewertungsorientierte Investoren auch nach einer Aktienkorrektur von 5 bis 10% nicht alle Vorsicht über Bord werfen. 

 

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich