Teufelszeug oder ein sinnvolles Instrument für die Taktik?

Wir haben uns die Vorteile und Nachteile von Hebel-ETFs und Short-Produkten angesehen.

Ali Masarwah 24.01.2012
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Die Anbieter von Indexprodukten haben sich längst von ihren Ursprüngen gelöst. Lang ist es her, dass sich die Branche auf einfache Produkte, wie etwa ETFs (Exchange Traded Funds) auf die Indizes Dax, SMI oder Euro Stoxx 50, konzentrierte. Aus ETFs sind längst ETPs (Exchange Traded Products) geworden, und die Branche überschlägt sich damit, immer neue Kapitalmarktnischen zu erschließen. Einige dieser exotischen Vehikel sind dabei längst den Kinderschuhen entwachsen. Hierzu zählen Hebel- und Short-Produkte, die häufig mit den Attributen „2X leverage“  (steht für  zweifach gehebelt) und „short“ (für invers) versehen werden.

Inzwischen sind europaweit 199 dieser ETPs gelistet, die, einfach oder mehrfach gehebelt, auf fallende oder steigende Kurse von Aktien, Anleihen oder Rohstoffen setzen. Laut Morningstar-Daten sind inzwischen 6,25 Milliarden Euro in diesen ETPs investiert. Der größte ist der 2007 aufgelegte db x-trackers Short Dax der Deutschen Bank, in dem per Ende Dezember 2011 rund 410 Millionen Euro investiert waren. Der doppelt gehebelte Lyxor-LevDax-ETF kommt auf 400 Millionen Euro, der Short-ETF auf den SMI von db X-trackers bringt es immerhin auf gut 17,8 Millionen Euro.

Gehebelte Produkte haben die Zielsetzung, ein Vielfaches (positives oder negatives) der Index-Performance über einen bestimmten Zeitraum zu liefern. Ein 2X leveraged long ETF hat etwa die Zielsetzung, in einem definierten Zeitraum das Doppelte der Index-Rendite zu liefern. Legt der Index um 2% zu, steigt der ETF-Preis um 4%. Im Gegensatz dazu hat ein 2X leveraged short ETF die Zielsetzung, die zweifache inverse Performance des Index zu liefern, sprich minus 4%. (In der Realität fallen Gebühren, aber auch Zinsen, an.)

Wie genau funktionieren diese Produkte?

Doch diese Produkte haben einige Tücken, und ihre die zunehmende Verbreitung bringt die Gefahr mit sich, dass nicht alle Investoren ihre spezielle Funktionsweise verstehen. Neben der marktbedingten Gefahr, wegen der Hebelwirkung hohe Kursverluste zu erleiden, gilt es, eine spezielle Eigenschaft dieser Produkte zu beachten, die auf den ersten Blick einen grundlegenden Widerspruch zur Funktionsweise von ETFs darstellt: Der Hebel wird zu vordefinierten Zeitpunkten zurückgesetzt. Er bezieht sich bei den meisten Produkten am Markt nur auf die Tages-Performance des Index. Hält ein Investor ein zweifach gehebeltes Produkt länger, kann die Performance von der doppelt gerechneten Index-Performance deutlich abweichen. Das gilt vor allem in Zeiten hoher Volatilität an den Märkten. Der Grund liegt nicht etwa an einem Konstruktionsfehler, sondern an der Volatilität und dem Zinseszinseffekt der sich aus der regelmäßigen Zurücksetzung des Hebels ergibt.

Um Ihnen die Funktionsweise der meisten Hebelprodukte zu verdeutlichen, hier ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an, dass ein Rohstoff, nennen wir ihn Kryptonit, zur entscheidenden Komponente neuartiger Solarmodule avanciert. Die Solarindustrie reist sich um das seltene Metall, und auch die Phantasie der Anleger und ETF-Anbieter wird entfacht. Es kommen gehebelte- und inverse-ETF auf Kryptonit auf den Markt. Zwei Investoren mit unterschiedlichen Marktmeinungen gehen exakt zur selben Zeit Wetten auf den Preis von Kryptonit ein. Der Optimist investiert in einen zweifach gehebelten long-ETF auf Kryptonit, der zweite, pessimistische Investor kauft Anteile des doppelt gehebelten short-ETF. Beide ETP-Anteile kosten zum Zeitpunkt der Investition 100 Euro. Am nächsten Tag steigt der Kryptonitpreis um 10% auf 110 Euro. Der Preis des Long-ETFs steigt planmäßig auf 120 Euro, der des Short-ETF fällt logischerweise auf 80 Euro. (Wir ignorieren in diesem Beispiel die Handels- und Managementkosten). Am Tag darauf fällt der Kryptonitpreis wieder auf 100 Euro, was einem Verlust von 9,1% gegenüber dem Vortagsniveau entspricht. Der long-ETF fällt - wiederum planmäßig - um doppelt so viel wie der Rohstoffpreis und notiert am Ende von Tag 2 bei 98,19 Euro. Spiegelbildlich steigt der Preis des short-ETF um 18,2% und notiert zum Handelsschluss bei 94,55 Euro.

Sie sehen aus dem Beispiel: Der Preis für Kryptonit notiert am Ende des zweiten Tages auf dem Ausgangsniveau von 100 Euro, derweil die Investoren in die zwei gegensätzlichen Kryptonitpreis-Strategien Geld verloren haben. Es wird also deutlich, dass es sehr wichtig ist, die Risiken dieser gehebelten Produkte zu verstehen.

Aber lassen Sie uns diesen Punkt anhand eines weitere Zahlenbeispiels verdeutlichen, indem wir eine Haltedauer von mehreren Tagen annehmen:

 

Wie man sieht, wird der zweifache Hebel nur täglich erreicht. Über die gesamte Haltedauer von 6 Tagen erzielt dieses Produkt (ohne Berücksichtigung von Kosten) jedoch nur einen Hebel von 1,76. Zudem sollte erwähnt werden, dass der zweifache Hebel nur dann garantiert wird, wenn das Produkt immer zur Börseneröffnung gekauft wird. Sollten Anleger während des Tages zugreifen, dürfte der Hebelfaktor anders ausfallen, je nachdem, wie sich der Markt in der Zwischenzeit entwickelt hat.

Dieses einfache Beispiel illustriert das Problem, das entstehen kann, wenn Hebel-ETFs nur die Tages-Performance eines Index tracken, der Investor aber längerfristig orientiert ist. Durch häufige Schwankungen entsteht gewissermaßen ein negativer Zinseszinseffekt, der aus einer prinzipiell sinnvollen Strategie ein Performance-Grab machen kann. Der kanadische ETP-Anbieter Horizons BetaPro hat in einem weiteren Beispiel berechnet, dass ein zweifach gehebelter-Aktien-ETF bei einer 25%igen Indexvolatilität in einem Jahr 6,1% verlieren kann, auch wenn der Index am Jahresende genau so hoch notiert wie 12 Monate zuvor. Bei einer Volatilität von 50% verliert der Hebel-ETF in dem Beispiel sogar 22,1%.

Zusätzlich drücken die Produktkosten auf die Performance. Short-ETF haben vergleichsweise hohe Gebühren. Double-Short-Produkte auf europäische Aktien-Standardindizes kosten in der Regel rund 60 Basispunkte jährlich. Hinzu addieren sich die Handelsspannen, die vor allem bei volatilen Märkten nicht zu vernachlässigen sind.

Passt ein gehebelter oder inverser ETF zu mir?

Bedeuten diese Risiken und Unwägbarkeiten, dass Anleger Abstand von diesen Produkten nehmen sollten? Ja und nein. Unerfahrenen Anleger ist von Hebel- und Short-Produkten grundsätzlich abzuraten, und zwar nicht nur wegen der oben beschriebenen Abweichungen vom Index. Vielmehr neigen Privatanleger häufig dazu, viel zu lange an offenkundig fehlgeschlagenen Strategien festzuhalten. Sie werfen erfahrungsgemäß nicht beizeiten die Verlustbringer aus dem Portfolio.

Für Fortgeschrittene können Hebel- und Short-Strategien indes einen Mehrwert bringen. Für Anleger, denen die Erfahrung oder aber die rechtlichen Voraussetzungen fehlen, um an den Futures-Märkten zu handeln oder nicht auf Zertifikate setzen wollen, sind Hebel-ETPs sinnvolle Spekulationsinstrumente. Zudem setzt der Hebel bei diesen Produkten in der Indexkonstruktion statt und nicht im ETF selbst. Das bedeutet, dass ein gehebelter oder inverser ETF keine Wertpapierleihe oder Kreditaufnahme betreibt, um das Anlageziel zu erreichen. Wer sich also gehörig verspekuliert, kann sich damit trösten, dass im Gegensatz zu „echten“ Short-Wetten das Verlustrisiko auf das eingesetzte Geld beschränkt ist.

Neue Trends reduzieren Schwächen – bringen aber auch andere Risiken

Doch die ETP-Branche wäre nicht die ETP-Branche, wenn sie sich nicht weiterentwickeln und Innovationen der Innovationen produzieren würde. Inzwischen gibt es nicht nur Tages-Tracker bei Hebel, Short und Co., sondern auch ETPs, die auf längere Haltedauern ausgelegt sind. Der Anbieter RBS hat etwa im Februar 2011 Short- und Leveraged-Produkte auf die Indizes Dax, FTSE 100, FTSE MIB, und Euro Stoxx 50 aufgelegt, die nicht die tägliche, sondern die monatliche Performance dieser Benchmarks zum Maßstab nehmen. Das verringert die oben beschriebenen Nachteile der täglich neu justierten Produkte, wenn die ETFs über mehrere Tage gehalten werden.

Die Grafik unten illustriert die Vorteile, die monatliche Hebel-ETF gegenüber täglichen haben können. Bei einer Indexvolatilität von annualisiert 16% schneidet der monatlich rechnende ETF in dem Beispiel (grüne Linie) deutlich besser ab als der täglich berechnete Hebel-ETF (rote Linie) und der ungehebelte Index (blaue Linie). Allerdings spielen monatliche Hebel-ETF spielen die oben illustrierten Vorteile nur bei längeren Halteperioden aus – sie müssen länger als ein Tag und weniger als ein Monat aus gehalten werden. 

Allerdings hat auch dieses Produkt seine Tücken. Der Hebelfaktor wird höchstwahrscheinlich dann nicht bei 2 liegen, wenn der ETF aus dem oberen Beispiel in der Mitte des Monats gekauft wird. Und auch diese Produkte beseitigen nicht das Problem der zumeist nicht vorhandenen Fristigkeitenkongruenz zwischen Anleger und Produkt (beziehungsweise Produkt-Design). Es entsteht bei den monatlich neu gesetzten ETFs dieselbe Problematik, wenn das Produkt für länger als ein Monat gehalten wird. Daraus folgt: Egal, ob beim Hebel der Reset täglich, wöchentlich oder monatlich gemacht wird: Der Anleger muss sich vorweg im Klaren darüber sein, wie langfristig die Haltedauer sein wird, bevor er ein konkretes Produkt kauft. Investoren müssen bei Hebel, Short ecetera beachten, dass es nicht nur auf die Antizipation der „richtigen“ Richtung der Märkte ankommt, sondern auch darauf, welchen Weg sie bei der Umsetzung ihrer Strategie beschreiten. (lesen Sie auch hier weiter).

 

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich