Aus Plus mach Minus: Die Folgen der Finanztransaktionssteuer

Die neue Umsatzsteuer wird nicht auch Fonds mit hohen Zu- und Abflüssen treffen. Ein Rechenexempel. 

Ali Masarwah 10.10.2012
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Der nachfolgende Beitrag ist eine neu bearbeitete Fassung eines Artikels, der erstmals am 10.7.2012 auf morningstar.de erschienen ist.

Die Finanztransaktionssteuer (FTS) kommt. Am Dienstag hatten sich auf Initiative von Deutschland und Frankreich elf Euro-Länder auf die Einführung einer Umsatzsteuer auf Börsengeschäfte für Anfang 2014 geeinigt. Auch wenn dies nicht der große EU-weite Wurf ist, den Befürworter der FTS angestrebt hatten - prominente Länder wie Großbritannien und Schweden bleiben außen vor - dürfte die Steuer für Anleger in Deutschland und Österreich gravierende Folgen haben. Nicht umsonst wird in Deutschland aktuell eine Diskussion über eine steuerliche Entlastung von Klein- und Vorsorgesparern geführt.

Doch was haben Anleger von der FTS zu erwarten? Wie funktioniert sie? Wie greift sie und wen trifft sie? Unabhängig von der aktuellen Diskussion um die Frage der Gerechtigkeit wollen wir der Wirkungsweise der möglichen neuen Steuer auf den Grund gehen. Zur Erinnerung: Im Zuge der FTS sollen die börslichen und außerbörslichen Wertpapier- und Derivate-Geschäfte mit 0,01% des Kaufpreises besteuert werden. Das bedeutet, dass Fonds mit einem hohen Transaktionsvolumen besonders stark von der FTS betroffen sein werden. Leidtragender ist dabei der Anleger, denn die FTS stellt für ihn eine (weitere) Komponente der Transaktionskosten dar.

Laut unserer Datenbank Morningstar Direct haben beispielsweise Aktienfonds mit Vertriebszulassung in Deutschland in den vergangenen 3 Jahren im Durchschnitt eine Umschlaghäufigkeit von zwischen 100 und 130% aufgewiesen. Für die „aktivsten“ dieser Fonds waren in der Vergangenheit Werte von 500% und mehr keine Seltenheit. Wer auch künftig sein Portfolio fünf oder zehnmal pro Jahr vollständig umschichten will, wird auf seine Anleger erhebliche Kosten abwälzen. Das wird sich natürlich negativ auf die Performance der Fonds niederschlagen.

Mittelbar werden auch die Fondsanbieter betroffen sein, da Kosten die Performance-Qualität der Produkte verschlechtern. Es ist wissenschaftlich wiederholt untersucht und auch von unserem eigenen Research ausgearbeitet worden: Die Höhe der Kosten einer Fondsanlage steht in einem (inversen) Zusammenhang mit ihrer Performance! (Lesen Sie mehr zur Prognosekraft von Kosten für die künftige Performance hier.) So fließen sowohl die Performance wie auch die Gebührenquote eines Fonds in unser Morningstar Analyst Ratings ein, mit dem wir Fonds qualitativ bewerten. Wir erwarten, dass die FTS durchaus auch ein Thema für unsere Fonds-Ratings sein wird. Es bliebt also festzuhalten, dass die FTS sowohl für Anleger als auch für die Fondsanbieter unmittelbare Folgen haben wird.

Doch auch jenseits der Transaktionen eines aktiven Fondsmanagers kann die FTS an anderer Stelle ins Kontor schlagen: Ein hohes Transaktionsvolumen auf Anlegerebene, also hohe Zu- und Abflüsse, wirkt sich zusätzlich unter FTS-Bedingungen negativ auf die Performance von Fonds aus.

Das traurige Beispiel von Otto Mustermann

Um diese, bisher wenig diskutierte Dimension der FTS zu erfassen, haben wir mit Unterstützung mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) ein kleines Rechenexempel vorgenommen. Wir wollten wissen, was unter Bedingungen der FTS im Extremfall bei Fonds passieren kann, die hohe Zu- und Abflüsse verzeichnen. Dazu haben wir einen fiktiven Anleger, nennen wir ihn Otto Mustermann, ins Rennen geschickt: Er steigt zum Jahresanfang 2014 – die FTS ist nunmehr in Kraft getreten - in einen (fiktiven) Wertpapierfonds ein. Er kauft zum 1. Januar 2014 einen Fondsanteil, der zu dem Zeitpunkt einen Wert von 100 Euro hat. Otto Mustermann ist der erste Investor in dem Fonds, der zum Jahresanfang 2014 folglich ein Vermögen von 100 Euro aufweist. Herr Mustermann hält diesen Anteil über das gesamte Jahr 2014. Im Einjahreszeitraum steigen wiederholt Anleger in den Fonds ein und aus. Zum Jahresende haben alle anderen Anleger ihre Anteile verkauft - der Langfristanleger Otto Mustermann ist wieder alleiniger Inhaber von Fondsanteilen. Er hält nach wie vor einen Anteil.

Das Besondere an unserem Beispiel: Es werden keine Transaktionen auf der Fondsebene vorgenommen außer denen, die durch die Zu- und Abflüsse ausgelöst werden. Der extrem statisch gemanagte Fonds erwirtschaftet im Jahr 2014 eine Rendite von 5%. Was bedeutet das nun für Otto Mustermann? Über wie viel Performance kann er sich Ende 2014 freuen? Die ernüchternde Antwort: er hat keine Rendite erwirtschaftet: Am 31.12.2014 notiert der Fondspreis nicht bei 105 Euro, wie man es erwarten könnte, sondern bei 99,79 Euro. Am Ende des Jahres hat der Fonds also aus Anlegersicht ein leichtes Minus erwirtschaftet – der FTS sei Dank! (Sie können das Beispiel anhand eines Excel-Sheets hier nachvollziehen).

Die neue Facette der FTS: Die Transaktionen auf Anlegerebene

Dass Fonds die sehr aktiv handeln, von der FTS besonders stark belastet werden, ist hinlänglich bekannt. Was unser Beispiel indes zeigt und was in der Öffentlichkeit bisher nicht wahrgenommen wurde ist, dass die FTS auch bei hohen Zu- bzw Abflüssen kräftig ins Kontor schlägt. „Auch wenn der Fonds in unserem Beispiel keine aktive Handelsstrategie verfolgt, wird er von der FTS stark getroffen, denn mit jedem Zufluss muss der Fonds Wertpapiere kaufen und mit jedem Abfluss grundsätzlich Wertpapiere verkaufen. Dann wird jedes Mal die FTS fällig“, sagt Markus Hammer, Partner bei PWC und zuständig für die Geschäftssparte Asset Management. Der Langfristinvestor Otto Mustermann ist also das Opfer der aktiven Handelsstrategie der anderen Marktteilnehmer geworden.

Damit wären auch die Verlierer der FTS benannt: die Langfristinvestoren. Denn mit jedem Einstieg eines Neu-Investors zahlt der Bestandsinvestor die FTS mit, da der Fonds nach jedem Zufluss am Markt Wertpapiere oder andere Finanzinstrumente kauft. Noch schlimmer für Otto-Altanleger ist jeder Verkauf von Fondsanteilen durch seine Co-Investoren: Gibt ein Anleger seinen Fondsanteil zurück, bekommt er den dann geltenden Nettoinventarwert des Fonds von der Fondsgesellschaft zurück. Anschließend tätigt der Fonds einen Verkauf am Markt, der die FTS auslöst, und die nur die verbliebenen Anleger im Fonds zahlen. Altanleger sind also immer die Gekniffenen. „Anleger, die häufig handeln, sind mit Blick auf die FTS gegenüber Langfristanlegern im Vorteil“, sagt Markus Hammer.

Natürlich haben wir das Beispiel auf die Spitze getrieben, indem wir unterstellt haben, dass ein Fonds keine aktiven Transaktionen jenseits der Reaktion auf Zu- und Abflüsse tätigt. Auch dass der Fonds zum Jahresanfang und zum Jahresende aus nur einem Anteil besteht und sich das Volumen zwischendurch stark verändert, ist natürlich unrealistisch. Allerdings ging es uns darum, die Systematik der FTS zu verdeutlichen. Und die hat durchaus Folgen für die Praxis.

Die FTS ist tückischer, als es auf den ersten Blick erscheint: Um die Folgen der Steuer zu mindern, reicht es nicht, dass Anleger auf Fonds setzen, die ihr Portfolio nur selten umschichten. Anleger müssen vielmehr auch beachten, wie sich die Zu- und Abflüsse bei ihren Fonds in Zeiten von FTS entwickeln. Doch es dürfte die allermeisten Anleger überfordern, neben der Turn-over-Rate im Fonds auch die Umschlaghäufigkeit auf Anlegerebene im Blick zu behalten.

Swing Pricing und Verwässerungsgebühren als Lösungswege?

Für den PWC-Experten ist deshalb klar: „Die FTS schafft eine klare Motivationslage für Fondsanbieter, Langfristinvestoren besser als bisher zu schützen“, sagt Hammer. Doch was sind die Alternativen? Eine Möglichkeit wäre, eine hohe Fluktuation auf Anlegerebene zu vermeiden, indem die Anteilscheinrückgabe ausgesetzt wird. Nach der Zeichnungsfrist würden die Fonds also geschlossen. „Rückgaben könnten dann nur noch über die Börse oder außerbörslich erfolgen. Das wäre dann zu kombinieren mit einer Laufzeit - da auch Langfristanleger ja an ihr Geld wieder herankommen möchten“, merkt Hammer von PWC an. Allerdings hat das Beispiel der offenen Immobilienfonds gezeigt, dass Anleger Restriktionen bei der Rücknahme von Fondsanteilen nicht goutieren. Zudem rüttelt eine strikte Kontrolle bzw. Begrenzung der Zu- und Abflüsse in Fonds am Selbstverständnis der Fondsbranche, die den Anspruch hat, jederzeit handelbare, also offene, Produkte anzubieten.

Markus Hammer von PWC sieht in der Einführung von Swing Pricing eine Möglichkeit. „Für deutsche Fonds wäre das eine Lösung, denn damit nimmt die Fondsgesellschaft die durch die FTS entstehenden Kosten vorweg“. Diese Fondspricing-Technik, die in Deutschland weitgehend unbekannt ist, wird bei Fonds im Ausland, etwa in Großbritannien und Luxemburg, häufiger praktiziert: Beim so genannten Swing Pricing stellt der Anbieter bei Transaktionen auf Anlegerebene Investoren die Handelskosten in Rechnung, die diese verursachen. Es handelt sich dabei um ein für die Fondsgesellschaft aufwändiges Schätzverfahren, das allerdings einen gewissen Schutz für Altinvestoren bietet, die langfristig in Fonds investieren. Das Verfahren kann allerdings den unangenehmen Nebeneffekt haben, dass der eigentliche Nettoinventarwert des Fonds, also der um den Swing-Effekt bereinigte Fondspreis, für Anleger intransparenter wird. Zudem erfasst das Swing Pricing alle Anleger - und nicht nur die Kurzfrist-Trader.

Eine weitere Möglichkeit, die Folgen der FTS für Langfristanleger zu mindern, wäre die Einführung von Verwässerungsgebühren, die eben nur jene Kurzfristanleger treffen würde. Wir bei Morningstar sind der Meinung, dass Verwässerungsgebühren, die nicht alle Anleger treffen und die vollständig dem Fonds gutgeschrieben werden, die beste Möglichkeit bieten würde, die Interessen von Langfristanlegern zu schützen. Freilich sollte nicht übersehen werden, dass diese Vorschläge nicht das Grundproblem lösen können: Die Renditen aller Anleger werden von der FTS betroffen sein; egal, welche Schutzmechanismen für Langfristanleger eingeführt werden mögen.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich