Das L, U, V & W der wirtschaftlichen Erholung

Wie verläuft die Erholung und was sind die Folgen für Anleger?

James Levin 02.09.2009
Facebook Twitter LinkedIn
Anleger erlebten in den letzten 20 Monaten eine wahre Achterbahnfahrt. Auf den stärksten Kurseinbruch seit der Großen Depression folgte eine der größten Börsenrallyes seit den 1930er Jahren. In den Medien überschlagen sich die Kommentare und Spekulationen darüber, wie die wirtschaftliche Erholung verlaufen könnte. Wird sie die Form eines W, eines V oder vielleicht eines U annehmen? Anleger werden sich auch fragen, welche Bedeutung die unterschiedlichen Szenarien für sie haben könnten.

Das ‚V’

Die V-förmige Erholung wäre für die meisten Anleger der Idealfall. Dabei erlebt die Wirtschaft einen steilen Absturz, findet einen deutlichen Boden und rappelt sich schnell wieder auf. Was dazu führt, dass die Verluste, die Anleger auf dem Weg na

ch unten machten, zum großen Teil wieder ausgeglichen werden können. Dafür wäre es allerdings erforderlich, dass die ‚nicht ganz so schlechten’ Nachrichten aus dem zweiten und dritten Quartal zu ‚wirklich guten’ Nachrichten werden.
Betrachtet man den Aktienmarkt, so sieht es danach aus, als ob die Wall Street eine V-förmige Entwicklung erwarten würde. Die ausgeprägteste 5-Monats-Rallye seit 1938 verhalf Aktien jedweder Stilrichtung zu einem Höhenflug, begünstigte aber insbesondere die Papiere von Unternehmen geringer Qualität (bzw. Profitabilität). Die Chancen auf eine V-förmige Erholung würden allerdings erheblich steigen, wenn es zu einem Aufschwung am Immobilienmarkt und in der Industrieproduktion käme, gekoppelt mit höheren Ausgaben der US-Konsumenten. Wir halten dieses Szenario für unwahrscheinlich, da vom überschuldeten amerikanischen Verbraucher wenig Lebenszeichen ausgehen und sein wichtigster Vermögenswert, die Immobilie, im Wert stark gefallen ist.

Das ‚L’

Anleihenguru Bill Gross vom Rentenmanager PIMCO meint, dass Anleger sich an eine Welt mit gedämpften Wachstum und geringeren Renditen für alle risikobehafteten Anlagen gewöhnen müssen. Seine so genannte ‚Neue Normalität’ geht von einem geringeren nominalen BIP, weniger Gewinnwachstum, höherer Arbeitslosigkeit, geringerem Anstieg der Verbraucherausgaben und stärkeren staatlichen Interventionen aus. Kurz gesagt: Gross beschreibt hier die Konsequenzen des gefürchteten ‚L’-Szenarios. Die L-förmige Erholung ist eigentlich keine. Für Anleger bietet sie keine erfreulichen Aussichten: Die Wirtschaftsaktivität ist rückläufig und stagniert irgendwann auf niedrigerem Niveau. Allerdings halten wir die L-förmige Entwicklung für das unwahrscheinlichste Szenario. Die Wirtschaftsindikatoren weisen zwar nicht in eine eindeutige Richtung, doch angesichts der massiven staatlichen Finanzspritzen und der besseren Konjunkturmeldungen im dritten Quartal spricht einiges gegen das L-Szenario.

Das ‚W’

Das W-Szenario dürfte Anleger ebenfalls nervös machen (zumindest kurzfristig), auch wenn es letztendlich der L-förmigen Erholung vorzuziehen ist. Vergleichbar mit dem V-Szenario schwächt die Konjunktur sich ab, findet einen Boden und erholt sich dann. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass die Aufwärtsbewegung nur vorübergehend ist und von einer neuerlichen Korrektur gefolgt wird. Erst wenn die Wirtschaft eine neue Talsohle erreicht, erholt sie sich wie im V-Szenario beschrieben.
Aus Anlegersicht könnte die zweifache Korrektur neue Kaufgelegenheit bieten. Allerdings besteht die Gefahr, dass sie stattdessen von einer nachhaltigen Erholung ausgehen und den typischen Fehler begehen, im Verlauf der W-förmigen Entwicklung am Tiefpunkt zu verkaufen und am Hochpunkt zu kaufen.
Wir halten das W-Szenario für nicht unwahrscheinlich, insbesondere da die Notenbank im Zuge eines Aufschwungs die Inflationsgefahren mit einer Drosselung der Liquditätszufuhr bekämpfen würde. In einer Untersuchung von Morgan Stanley wurde festgestellt, dass 12 von 18 Aktienmarkterholungen einige Monate nach der Zinserhöhung stockten. Dies deutet darauf hin, dass die Märkte wanken, sobald Konjunkturbelebungsmaßnahmen zurückgezogen werden. Ein Ökonom von Tocqueville Asset Management weist zudem darauf hin, dass die Feinabstimmung der Geldpolitik innerhalb eines nur halb funktionsfähigen Finanzsystems sehr schwierig ist. Zumal jeder Schritt der Zentralbanken anfangs als zu klein oder zu groß erscheint und der Markt dies als ‚Stop & Go’-Politik wahrnimmt, was zu zusätzlichen Marktturbulenzen führen kann.

Das ‚U’

Die U-förmige Erholung gleicht der V-förmigen Entwicklung. Allerdings ist der Aufschwung weniger deutlich auszumachen und die Wirtschaft verharrt länger in der Talsohle, bevor sie langsam wieder Fahrt aufnimmt.
Wir nehmen an, dass wir von einem V-Szenario weiter weg sind als dies der Markt wahrhaben will. Wir sind vermutlich näher an einem konservativen U-Szenario, wie es für die meisten vom Verbraucher getriebenen Rezessionen typisch ist. Ursächlich für die ‚Große Rezession’ war der überschuldete Konsument, dessen Vermögen angesichts fallender Häuserpreise, einer Rekordarbeitslosigkeit und der Kreditklemme deutlich gesunken war. In einem solchen Umfeld fallen die Ausgaben der Konsumenten geringer aus, wodurch auch die Erholung auf sich warten lässt. Milton Ezrati von Lord Abbett geht davon aus, dass vom Verbraucher ausgehende Rezessionen oft in Form eines U verlaufen, da Konsumenten ihre Ausgaben nicht in gleicher Weise zurückschrauben können wie Unternehmen.
Auch wenn die Konsumentenausgaben stärker rückläufig waren als dies erwartet wurde, deuten die wirtschaftlichen Frühindikatoren auf eine U-förmige Erholung hin. Die US-Version der Abwrackprämie führte im August zum Absatz von 15,5 Mio. Fahrzeugen. Dies entspricht einem Wachstum von 16% gegenüber dem Vorjahr und 40% gegenüber dem Vormonat. Es zeigt, dass der Konsument durchaus in der Lage ist, noch Geld auszugeben, wenn nur der Preis stimmt. Hinzukommen bessere Nachrichten vom Häusermarkt. Bis Ende September wird außerdem nur 25% des staatlichen US-Konjunkturpakets ausgegeben sein. Weitere Munition steht also noch bereit.

Was bedeutet dies für Anleger?

In einem Umfeld geringeren Wachstums sollte der Fokus wieder stärker auf Qualität liegen. Unternehmen geringerer Qualität dürften gegenüber Gesellschaften mit stabilen Gewinnen, höherer Kapitalrendite und nachhaltigen Dividenden wieder zurückfallen. Letztere gehörten in der Aktienrallye dieses Jahres zu den Nachzüglern, könnten sich aber bald wieder nach vorne schieben.
Dies ist kein Plädoyer für Markttiming. Anleger tun sich damit immer sehr schwer, zumal am Markt keine Einigkeit über die weitere Richtung der Konjunktur besteht. In Zeiten großer Unsicherheit lassen sich die Risiken allerdings abschwächen, indem man auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit geringerer Volatilität setzt.

Beispiele für Fonds mit starkem Fokus auf Qualitätswerte sind der ValueInvest LUX Global , der Franklin Mutual Global Discovery und der Franklin Mutual European.

Die Originalversion des Artikels erschien ursprünglich auf www.morningstar.com. Wir veröffentlichen diesen in Auszügen.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

James Levin  James Levin is site editor for Morningstar.com.