Dabei sein ist nicht alles: Der Facebook-Börsengang

Es gibt gute Gründe, einen kritischen Blick auf das Geschäftsmodell von Facebook zu werfen. 

Ali Masarwah 18.05.2012
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Wer nichts vom bevorstehenden Börsengang von Facebook gehört hat, lebt mit ziemlicher Sicherheit auf der dunklen Seite des Mondes. Auch nicht-finanzaffine Menschen haben in diesen Tagen kaum eine Chance, dem IPO (steht für Initial Public Offering) des Jahres zu entgehen. Auch in den Massenmedien wird fachmännisch diskutiert, ob das soziale Netzwerk tatsächlich gut 80 Milliarden Euro (104 Milliarden US-Dollar) Wert ist. Zur Erinnerung: 80 Milliarden Euro ist mehr als die DAX-Konzerne Adidas, Henkel, Deutsche Post, Lufthansa, Merck, Metro, Thyssen Krupp und VW zusammen auf die Waage bringen.

Bereits die Gegenüberstellung des Börsenwerts des New-Economy-Unternehmens mit dem der alteingesessenen DAX-Konzerne, die über jede Menge bewertbare Assets, wie Produktionsanlagen, Flugzeuge, Patentrechte und Marken verfügen, zeigt, dass die Bewertung von Mark Zuckerbergs Unternehmen ambitioniert ist und hohe Wachstumserwartungen enthält. Im ersten Quartal lag der Facebook-Umsatz mit 1,05 Milliarden US-Doller übrigens unter dem des Vorquartals von 1,3 Milliarden Dollar.

Google ist für Facebook ein ernst zu nehmender Konkurrent

Wir haben bereits vor einigen Monaten erläutert, warum es möglicherweise keine gute Idee wäre, beim Börsengang von Facebook dabei zu sein. Die vollständige Abhängigkeit des Konzerns von Online-Werbung ist ein erheblicher Risikofaktor, da Werbeeinnahmen– je nach Konjunkturlage – stark schwanken. Die jüngste Meldung, dass General Motors, einer der wichtigsten Kunden von werbefinanzierten Online-Plattformen in den USA, „mangels Profitabilität“ offenbar keine Anzeigen bei Facebook schalten wird, unterstreicht diesen Punkt. Zudem agiert Facebook nicht auf einer Insel: Es gibt sehr viele Internet-Plattformen, die um die Gunst von Werbekunden buhlen. Nicht zuletzt der „Google-Faktor“ könnte Facebook auf dem ureigenen Gebiet der sozialen Netzwerke auch zu schaffen machen, da sich der Konkurrent anschickt, ein eigenes soziales Netzwerk ins Rennen zu schicken. Governance-Faktoren, wie etwa der Umgang des Konzerns mit Kundendaten sowie die Alleinstellung von Unternehmensgründer und Großaktionär Mark Zuckerberg sind weitere Unsicherheitsfaktoren, die potenzielle Facebook-Investoren berücksichtigen sollten  (lesen Sie hier mehr zu den Details unserer Einwände).

Dass der Einstiegspreis für die Facebook-Aktie dennoch mit 38 US-Dollar am obersten Ende der Bewertungsspanne (34 bis 38 US-Dollar) liegt und das Angebot auf 421,2 Millionen Aktien deutlich gegenüber den ursprünglichen Plänen aufgestockt wurde, zeigt dass die Nachfrage nach den Facebook-Aktien sehr hoch sein muss. Das ist vor dem Hintergrund der Risikofaktoren erstaunlich.

Doch wenn die Ratio versagt, gibt es immer noch menschlich nachvollziehbare Gründe für die sich abzeichnende Facebook-Hype. Es ist gut möglich, dass der Run auf die Facebook-Aktien weniger auf der Überzeugungskraft Zuckerberg beruht (der Auftritt Zuckerbergs auf der IPO-Road-Show soll einigen Investoren zufolge unspektakulär und auch enttäuschend gewesen sein). Vielmehr könnte die Angst, eine Erfolgsstory zu verpassen, der Treiber hinter der Zeichnungswut vieler institutioneller Investoren sein. (Fondsgesellschaften wie die Deka oder Allianz Global Investors äußern sich nicht zu Facebook im Vorfeld des Börsengangs.)

Anleger sollten sich vor Scheinalternativen in Acht nehmen

Interessanterweise dürfte gerade die Google-Erfolgsstory zu der Angst vieler Fondsmanager beitragen, etwas Wichtiges zu verpassen. Der heute schärfste Konkurrent von Facebook wurde bei seinem Börsengang 2004 von vielen Fondsmanagern gemieden. So kurz nach dem Dot-Com-Börsen-Crash konnten sich viele Fondsmanager offenbar nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sich ein scheinbar virtuelles Unternehmen zu einem sehr gewinnträchtigen Konzern mit großen Wettbewerbsvorteilen entwickeln würde. Im Nachhinein haben auch Fondsmanager mit ausgeprägtem Riecher für Erfolgsstories wie Klaus Kaldemorgen bedauert, nicht bei Google zum Start dabei gewesen zu sein.

Genau hier sollten Anleger, die befürchten, den Börsengang des Jahrzehnts zu versäumen, innehalten. Zum einen sind nicht alle Investmentprofis, die bei Google den richtigen Riecher hatten, auch nachhaltig erfolgreich. Der ehemalige S&P-Dauerbezwinger Bill Miller, Fondsmanager bei Legg Mason, hat tatsächlich frühzeitig in Google investiert. Das hat ihn aber nicht vor Fehlentscheidungen bei anderen Wachstumswerten geschützt, die sich im Nachhinein als überbewertet entpuppten  (Miller hat im vergangenen Monat die Verantwortung für den Fonds Legg Mason Capital Management Value nach einer längeren Durststrecke abgegeben). Insofern sollten Anleger die Bedeutung einer einzigen Investment-Entscheidung nicht überbewerten: Es kommt auf die Konsistenz und Langfristigkeit einer Strategie an.

Zum anderen ist „Facebook ja oder nein“ eine klassische Scheinwahl. Es gibt keinen Zwang, sich heute entscheiden zu müssen. Wenn Facebook erst einmal börsennotiert ist, die IPO-Hype verklungen und sich in den kommenden 1-2 Jahren etwas mehr Klarheit über die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells eingestellt haben wird, kann man immer noch einsteigen. Auch bei Google werden sich immer wieder Kaufgelegenheiten geben, egal, wie gut das Geschäftsmodell inzwischen für alle Marktteilnehmer erkennbar ist. Insofern sollten sich Investoren einfach den Luxus gönnen, außen vor zu bleiben.

IPOs entwickeln sich gegenüber der Konkurrenz oft unterdurchschnittlich

Schlussendlich gibt es auch handfeste Beweise dafür, dass sich Zurückhaltung bei Börsengängen lohnt und Anleger eher schlecht mit einer Buy-and-hold-Strategie bei Börsenneulingen fahren. Laut Tarun Ramadorai von der Universität Oxford lohnt es sich am ehesten aus taktischen Gesichtspunkten, bei IPOs zuzugreifen, nicht aber langfristig. Auch wenn sich der Kurs einer Aktie nach dem Börsengang oft überdurchschnittlich entwickelt, fallen die Neulinge längerfristig deutlich zurück. 

Studien belegen, dass es sogar mehr Sinn machen kann, beim Börsengang in die unmittelbaren Konkurrenten des Börsenneulings zu investieren. Jay Ritter von der Universität Florida hat über 8.000 Börsengänge in den USA zwischen 1970 und 2009 ausgewertet. Herausgekommen ist, dass die Neulinge in den ersten 6 Monaten nach einem IPO im Schnitt um 2,2% besser performen als die Branchenkonkurrenz mit ähnlicher Marktkapitalisierung. In den 5 Jahren nach dem Börsengang haben sich die jungen Unternehmen dagegen pro Jahr 2,2% schlechter entwickelt. Wer also nicht aus Gründen der Liebhaberei heute mit „I like“ beim Facebook-IPO stimmen will, sollte die Frage eines Investments in Facebook mit Bedacht und einer für Eigenkapitalgeber angemessenen Skepsis angehen.


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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich