Fund Times: Die Morningstar-Fondskolumne der Woche

Ein Quartalsrückblick, der keiner ist: Angstfreie Diversifikation bleibt das Motto. Und immer auf die Bewertungen achten. 

Ali Masarwah 25.06.2012
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Zu Beginn dieser Kolumne gleich das kleinlaute Eingeständnis: Wir haben Sie vor einiger Zeit in die Irre geführt und möglicherweise von einem lukrativen Investment abgehalten. Das war fahrlässig, und dafür entschuldige ich mich gleich zu Beginn dieses Artikels in aller Form! Worum es geht? Nun, gegen Ende des ersten Quartals hatte ich angemerkt, dass einzelne, ad hoc getroffene Wetten, die dem Vergangenen nacheifern, nicht nur sinnfrei, sondern auch schädlich sein können. Investments sollten immer im Kontext des gesamten Portfolio betrachtet werden. Am 2. April hatte ich – nach Durchsicht der phantastischen Performance von Risiko-Assets im ersten Quartal – geschrieben: „Es bringt absolut nichts, zu versuchen, mit der Hinzunahme der 17. Asset-Klasse, etwa mit Vietnam-Aktien, die Performance des Gesamtportfolios zu optimieren“. Das nehme ich ausdrücklich zurück: Sie hätten Vietnam-Aktien nicht nur hinzunehmen sollen, sondern fast alle anderen Asset-Klassen aus dem Portfolio hinauswerfen sollen!


Wie ich zu diesem Schluss komme? Nun, da sich ein mehr als durchwachsenes Quartal dem Ende entgegen neigt und in wenigen Tagen eher Anlass zu unschönen Performance-Bilanzen geben wird, stelle ich fest, dass sich Aktienfonds mit Anlageschwerpunkt Vietnam hervorragend geschlagen haben! Von gut 300 Morningstar-Fondskategorien landeten Vietnam-Fonds im zweiten Quartal (Ultimo: 22.6.2012) mit einer Durchschnitts-Performance von 10,5% auf dem ersten Rang aller Morningstar-Kategorien. Und das, nachdem diese Fonds im Schnitt von Januar bis März mit einem Plus von durchschnittlich 19,85% schon Platz 2 belegt hatten! Macht in den ersten beiden Quartalen zusammen 34,34%! Ähnlich gut haben sich Türkei-Fonds im ersten wie im zweiten Quartal geschlagen. Sie kommen im Schnitt per 22. Juni auf auf 30,77% absolut. Ein 50:50-Türkei-Vietnam-Portfolio wäre es also in diesem Jahr gewesen!


Sie merken natürlich, dass dieses wehmütige Über-die-Schulter-schauen nicht ganz ernst gemeint ist. Natürlich konnte kein Anleger Ende März ahnen, was dieses 2. Quartal mit sich bringen würde. Dass auf den Höhenflug von Januar bis März der Absturz an den Börsen bis Ende Juni folgen würde. 


Oder doch nicht? Erinnern wir uns zurück. Auch vor 3 Monaten waren die Probleme des Euroraums manifest, die Liquidität an den Märkten hoch, ebenso wie die Volatilität und die Nervosität. Und es lagen gegen Ende März viele positive Ausblicke etlicher Investment-Profis vor, die ganz fest mit einer Fortsetzung der Hausse rechneten (keine Namen an dieser Stelle, Nostalgiker mögen in der Ausgabe der Fund Times vom 19. März stöbern). Wer sich also angesichts des steigenden Optimismus, der hohen Liquidität und der ungewissen Aussichten der Eurozone zurückhaltend zeigte, machte vieles Richtig. 


Um den Punkt zu illustrieren, haben wir aus unserer Datenbank Morningstar Direct ein kleines Beispiel berechnet und ein Ranking der besten 20 Fondsklassen im ersten Quartal erstellt. Sie finden die Top-Performer unter den Morningstar-Kategorien in der linken Spalte der unteren Tabelle grün markiert. Rechts daneben haben wir das Performance-Ranking derselben Kategorien von April bis 22. Juni wiederholt. Mit Ausnahme von Vietnam- und Türkei-Aktien fand sich keiner der Top-Performer des ersten Quartals unter den besten 20 Kategorien des Folgequartals wieder. Mit der Ausnahme der beiden Exotenmärkte konnte keine der Kategorien überhaupt eine positive Rendite zwischen April und Ende Juni aufweisen! 6 der 20 Outperformer des ersten Quartals zählten sogar zu den 20 schlechtesten Kategorien des zweiten Quartals, wie Sie anhand der roten Unterlegung der Rangfolge feststellen können (selbst wenn sie nicht zu den 20 schlechtesten Kategorien gehörten, landeten die allermeisten Ex-Top-Performer sehr weit abgeschlagen auf den Performance-Rängen des 2. Quartals).


Tabelle: Was im zweiten Quartal von der Performance übrig blieb




Natürlich soll dieses kleine Zahlenbeispiel Sie nicht dazu animieren, immer in die (volatilsten!) Underperformer des Vorquartals zu investieren. Es soll allerdings vor den Gefahren von prozyklischen Investments warnen: Wenn immer mehr Anleger in das Bullenlager wechseln, kann es an der Zeit sein, die Segel zu streichen (nein, wir halten auch nichts von der vermeintlichen Regel, wonach man im Mai verkaufen sollte – denn dann würde man als europäischer Investor einen Großteil der Dividenden-Saison versäumen!). 


Und heute? Behavioural Finance-Experten, die – verkürzt gesagt – das Sentiment der Anleger als Kontraindikator für den Verlauf einer Marktentwicklung nehmen, würden ihre Freude haben. Privatanleger in Deutschland sind derzeit extrem pessimistisch: Das Investmentbarometer von J.P.Morgan Asset Management, das auf einer GfK-Umfrage basiert, hat für den Monat Mai, also nach Beginn der Korrektur, einen Einbruch verzeichnet. Nur noch knapp jeder vierte Anleger (24,3 Prozent) rechnete mit einem positiven Börsenverlauf in den nächsten sechs Monaten. Im März hatte noch fast jeder Zweite (45 Prozent) positiv in die Zukunft geblickt. Innerhalb von zwei Monaten hat sich also die Anzahl der Optimisten nahezu halbiert. Vermutlich dürften per heute etliche neue Pessimisten hinzugekommen sein.


Nicht wesentlich anders gestaltet sich das Bild bei den Profis. Aus den Allokationsstrategien von Fondsmanagern, die die Bank of America Merrill Lynch erhoben hat, ergibt sich: Die Risikoaversion globaler Fondsmanager hat einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Netto-Cash-Positionen haben laut der Ende Mai bis Anfang Juni befragten Fondslenker mit 5,3% der Portfolios den höchsten Wert seit Januar 2009 erreicht. 


Angesichts der extremen Unsicherheit am Markt dürften die meisten Investoren wenig geneigt sein, antizyklisch zu investieren, obwohl gerade Sparpläne bei langem Anlagehorizont und bei breit aufgestellten Portfolios keine schlechte Wahl sein dürften. An dieser Stelle lohnt es sich, auf die Bewertungen zu achten. Da die künftige Marktrichtung unmöglich zu bestimmen ist, bleibt Investoren nur der Wert einer Aktie als Halt. Die beiden Tabellen, die den fairen Wert europäischer Sektoren wiedergeben, zeigen, dass Bewertungen gerade in Zeiten volatiler Märkte Orientierung bieten. Kontrastieren Sie die Bewertungen per Ende März im oberen Schaubild mit denen per Mitte Juni im unteren. Je näher das von unseren Analysten taxierte Kurs-Fair-Value-Verhältnis an den Wert 1 heranrückt, desto mehr ist ein Asset bzw eine Branche fair bewertet. Ein Wert unter 1 signalisiert dabei eine Unterbewertung. Ein Wert von mehr als 1 zeigt indes an, dass eine Aktie bzw Branche überbewertet ist. Eine an Bewertungen orientierte Analyse kommt also unweigerlich zum Schluss, dass ein Einstieg in Aktien zum heutigen Zeitpunkt per Saldo mehr Sinn ergibt als noch Ende März.


Tabelle: Der Kurs-Fair-Value-Wert europäischer Sektoren per Ende März 





Tabelle: Der Kurs-Fair-Value-Wert europäischer Sektoren per Mitte Juni


 


Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich