Smarte Fragen zu Strategic Beta

Spiegelt die Beliebtheit von Strategic-Beta-ETFs die kollektive Intelligenz der smarten Anleger oder den üblichen Massenwahn der Herde wider? Warum Investoren niemals ein Finanzprodukt mit Vorschusslorbeeren bedenken sollten.

Paul D. Kaplan 10.06.2016
Facebook Twitter LinkedIn

Ungeachtet der Popularität von Strategic-Beta-ETFs (oder vielleicht gerade deswegen) ließ sich Vanguard-Gründer John Bogle wie folgt zitieren: „Smart Beta ist Unsinn – es gibt kein smartes Beta. Es ist ein dämlicher Begriff. Um es mit Shakespeares Worten zu sagen: Es ist ein Märchen, erzählt von einem Narren, voller Klang und Wut – und es bedeutet nichts.“ (Segal 2015) 

Auch wenn diese ätzende Kritik übertrieben sein mag, steckt in ihr eine wichtige Botschaft: Man sollte niemals neue Finanzprodukte mit Vorschusslorbeeren versehen.  Vor allem bei so genannten Smart-Beta-ETFs, die wir als Strategic Beta bezeichnen, müssen Anleger folgende Fragen sorgsam erwägen: 

1)    Akzeptieren Sie die Prämissen einer bestimmten Strategie? 

Die Idee für Strategic-Beta-Ansätze entstand aus zwei gedanklichen Strängen. Die eine ist das gezielte Ernten von Prämien. Ein Portfolio wird nach einem oder mehreren Faktoren, die in der Vergangenheit über längere Zeiträume höhere Renditen als der Markt erzielt haben, ausgerichtet wird. Bei Aktienportfolios umfassen diese Faktoren typischerweise Substanzwerte/Value (günstige Aktien entwickeln sich besser als teure), Größe/Size (kleine Aktien entwickeln sich besser als große), Dynamik/Momentum (die jüngsten relativen Gewinner entwickeln sich besser als die jüngsten Verlierer), Liquidität sowie Volatilität (Aktien mit einer niedrigen Standardabweichung entwickeln sich besser als jene mit einer hohen Volatilität). 

Der andere Strang ist der Umstand, dass man ein Portfolio nicht nach Marktwert, sondern nach Fundamentaldaten gewichtet. Das wurde von Rob Arnott und seinem Unternehmen Research Affiliates eingeführt. (siehe Arnott, Hsu, Moore 2005). Viele Strategic-Beta-Strategien richten Portfolios nach Faktoren aus und nutzen dabei auch eine nicht-marktkapitalisierte Gewichtung. (Die Definition von Morningstar für Strategic Beta umfasst einen Faktor-Ansatz, aber auch eine Gewichtung nach Marktwert. Vergleiche „Ein weltweiter Überblick über börsennotierte Strategic-Beta-Produkte“.) 

Es findet derzeit eine intensive Debatte darüber statt, warum eines nach bestimmten Faktoren ausgerichtetes Portfolio gegenüber einem kapitalisierungsgewichteten in der Vergangenheit eine überlegene Performance erzielt hat. Anhänger der Markteffizienzhypothese machen geltend, dass Faktor-Prämien ein Ausgleich für ein eingegangenes Risiko seien. Die Gegner der Markteffizienzhypothese führen diese Outperformance dagegen auf irrationales Anlegerverhalten zurück. 

Ungeachtet der Gründe dafür, warum Faktoren funktionieren (bzw. in der Vergangenheit funktioniert haben) kann eines festgehalten werden: Wenn es einer Anlegergruppe gelingt, den Markt systematisch zu schlagen, dann muss es Investoren geben, die verlieren. Dieses Prinzip wurde von Nobelpreisträger William Sharpe (1991) eingeführt. Basierend auf diesem Prinzip prägte Arnott den Begriff vom „bereitwilligen Verlierer“ (vergleiche Rodstad 2013). Daher sollte eine Prämisse für ein Investment in jeden Strategic-Beta-Ansatz die Existenz eines „bereitwilligen Verlierers“ sein.

2)    Können Sie Underperformance-Phasen aushalten?

Selbst die beste (Strategic Beta) Strategie wird ein Marktportfolio nicht zu jeder Zeit übertreffen. Es wird immer Phasen geben, in denen sie sich unterdurchschnittlich entwickelt. Man denke nur an die Flaggschiff-Strategie von Research Affiliates, den Research Affiliates Fundamental Index (RAFI) 1000. Der RAFI 1000 kann auf beeindruckende Backtest-Ergebnisse, also rückwirkende nachgestellte Resultate aus der Vergangenheit, zurückblicken. Das gilt vor allem für den Simulationszeitraum von Januar 1980 bis Dezember 2005. Demnach wären aus 1000 investierten US-Dollar im RAFI 1000 41.517 Dollar geworden.  Über den selben Zeitraum hätten 1.000 Dollar, die im Russell 1000 angelegt worden wären, 24.296 US-Dollar gebracht. (Diese Zahlen berücksichtigen keine Verwaltungsgebühren und Steuern).

Allerdings entwickelten sich die Dinge für die Anleger, die ihr Geld in RAFI-Index-Tracker nach 2006 investiert haben nicht so gut. Value-Strategien schnitten schlechter ab als der Markt, und da war der RAFI-Index keine Ausnahme. 

„Fundamentale Indexportfolios haben eine Value-Komponente. Sie haben die Nase vorn, wenn Value gewinnt, ziehen das Portfolio aber nach unten, wenn Value verliert. Wurden die Anlegererwartungen erfüllt? Nein. Viele hatten nur das gehört, was sie hören wollten – langfristiger Zusatzwert – und sie dachten, dass dies ‚für alle Zeiten’ bedeutet. Doch das ist einfach nicht realistisch“, sagte Arnott damals. (laut Wall Street Journal vom 6. April 2009) 

US-Anleger, die Ende Dezember 2006, also ein Jahr nach der Markteinführung, 1.000 Dollar in den PowerShares FTSE RAFI US 1000 ETF mit einer jährlichen Kostenquote von 0,4 Prozent anlegten, haben bis 2016 ein Haben von 1.687 Dollar. Das ist nur wenig mehr, als ein Investment über den gleichen Zeitraum in den SPDR Russell 1000 ETF mit einer jährlichen Gebühr von 0,11 Prozent abgeworfen hätte. Hier wären es 1.664 US-Dollar gewesen. Dies zeigt, wie eine Strategie mit einem guten Simulationsergebnis in der Realität enttäuschen kann – vor allem nach Abzug der Kosten. Das bedeutet nicht, dass sich diese Strategie nicht in Zukunft überdurchschnittlich entwickeln könnte. Das Fazit: Auch wer von einer (Strategic Beta) Strategie überzeugt ist, muss grundsätzlich bereit sein, schlechte Zeiten mit einer unterdurchschnittlichen Wertentwicklung auszuhalten. 

3)    Sind Sie überzeugt davon, dass die Wertentwicklung einer Strategie in der Vergangenheit auf der systematischen Vereinnahmung von Prämien basiert, oder geht die Outperformance nur auf die steigende Popularität dieser Strategie zurück? 

Der Disclaimer über die vergangene Wertentwicklung, der bei keinem Anlageprodukt fehlt, ist allseits bekannt: „In der Vergangenheit erzielte Erträge bieten keine Gewähr für künftige Renditen.“ Arnott und einige seiner Kollegen von Research Affiliates sind nun einen Schritt weitergegangen – und das ist kein Scherz. „Wir sehen eine begründete Wahrscheinlichkeit eines Smart-Beta-Crashs als Folge der rapide steigenden Popularität von Factor-Tilt-Strategien“, schreiben sie. (Arnott, Beck, Kalesnik und West, 2016).

Mit anderen Worten: Wenn der Erfolg eines Strategic-Beta-Produkts in der Vergangenheit nur darin begründet war, dass Anleger die Preise hochgetrieben haben und nicht aufgrund von Faktor-Prämien basiert, dann folgt daraus zwangsläufig, dass die Kurse an einem gewissen Punkt wieder fallen müssen. Das ist die praktische Umsetzung von Steins Gesetzt: „Wenn etwas nicht auf ewig andauern kann, wird es aufhören.“ (Stein 1998). Ob Arnott Recht hat oder nicht, wird nur die Zeit beantworten können. Er reißt aber auf einen wichtigen Punkt an, der vor einer Investition in Strategic-Beta-Produkten bedacht werden sollte. 

4) Sind die Gebühren die Sache wert?

Kosten sind bei der Investitionsentscheidung immer wichtig. In Kanada können Anleger zum Beispiel bei einer Kostenquote von 0,03 Prozent an der Wertentwicklung des kanadischen Aktienmarktes über einen ETF partizipieren. Doch sobald man vom breiten Marktzugang zu Strategic Beta übergeht, springt die Kostenquote auf 0,32 bis 0,59 Prozent hoch – dies hängt von der Art der Strategie sowie vom Indexanbieter ab. Diese Kostenquoten sind zwar im Vergleich zu traditionellen aktiv gemanagten Fonds immer noch niedrig. Doch die Gebühren sind, gemessen an Anlagen in ETFs, auf die bekannten, nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes relativ hoch. Kosten sind immer wichtig und sollten daher bei der Auswahl eines Finanzprodukts stets einkalkuliert werden. Eine Investition von 1.000 Dollar in einen ETF mit einer Gebühr von 0,03 Prozent bei einer Bruttorendite von 5 Prozent über zehn Jahre würde – Steuern und sonstige Kosten außer Acht gelassen - auf 1.624 Dollar steigen. Würde die Kostenquote bei 0,59 Prozent liegen und die Bruttorendite weiterhin 5 Prozent betragen, würde sich das investierte Geld am Ende auf 1.535 Dollar belaufen. Entsprechend ist eine Anlage in einen Strategic-Beta-ETF eine Wette darauf, dass die Strategie den Markt mindestens um die Zusatzkosten gegenüber dem klassischen gewichteten ETF schlagen wird. 

Differenzierte Fragen, die umso dringlicher gestellt werden müssen 

Angesichts der Verbreitung von Strategic Beta ETFs wäre es falsch, alle Produkte über einen Kamm zu scheren und in Bausch und Bogen zu verdammen. Es wäre aber genauso falsch, alle Strategic Beta ETFs mit Vorschusslorbeeren zu bedenken und unkritisch als gute Investition anzusehen. Einige Strategien werden erfolgreich sein, andere werden scheitern. Für Anleger und Berater kommt es darauf an, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sind sie in der Lage auszumachen, ob der Erfolg einer Strategie auf der Intelligenz der Masse basiert, oder ob sie auf einem „Massenwahn“ fußt,  dann ist bereits ein guter Teil des Weges geschafft!

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Paul D. Kaplan  Paul D. Kaplan, Ph.D., CFA, is director of research with Morningstar Canada.