Wie steht es um die globalen Lieferketten?

Einige Unternehmen wie Fast Food-Restaurants sind gut positioniert, die Lieferengpässe zu meistern. Bei Branchen wie der Automobilindustrie sieht das anders aus, schreibt Jakir Hossain. 

Jakir Hossain 07.06.2022
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Supply chains

Vor einem Jahr hatten nur wenige Menschen außerhalb der Schifffahrts- oder Fertigungsindustrie jemals den Begriff „Lieferkette“ gehört.


Heutzutage stehen „Lieferkettenprobleme“ im Vokabular der meisten Anleger im Vordergrund, und wenn es um die Inflationsaussichten geht, werden Lieferketten als einer der Hauptfaktoren angesehen, die dazu beitragen werden, wie schnell sich die Preise wieder normalisieren.

Globale Lieferketten sind die Netzwerke zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten, die benötigt werden, um Materialien und Ressourcen in die von ihnen verkauften Produkte umzuwandeln. Massive Engpässe in der Lieferkette entstanden im Zuge von Pandemie-Lockdowns, als Unternehmen auf der ganzen Welt schlossen und Arbeiter zu Hause blieben.

Es bestand die Hoffnung, dass die Probleme in der Lieferkette in der ersten Hälfte des Jahres 2022 nachlassen würden, sobald die Auswirkungen der Pandemie in immer mehr Ländern eingedämmt würden. Aber andere Ereignisse, wie der Krieg in der Ukraine, haben neue Engpässe hinzugefügt. Und mit Sperrungen in Shanghai und anderen wichtigen Städten in ganz China beeinträchtigen pandemiebedingte Probleme die Lieferketten erneut.

Ob es Tesla (TLO) war, dem wichtige Materialien für die Produktion fehlten, der Vermögensverwalter Aberdeen, der eine Übernahme aufgrund von Papiermangel verschob, oder der aktuelle Mangel an Babynahrung in den Vereinigten Staaten - Probleme in der Lieferkette haben sowohl Verbrauchern als auch Unternehmen geschadet.

In einem breiten Spektrum von Branchen versuchen Unternehmen einzuschätzen, wann sich die Blockaden in der Lieferkette verbessern werden, aber das gestaltet sich als schwierig.

„Niemand weiß es wirklich“, sagt Michael Field, Senior Equity Analyst bei Morningstar, der für Versand und Logistik zuständig ist. „Fast jedes Unternehmen hat Lieferkettenprobleme. Die Zahl der Unternehmen, die etwas dagegen unternehmen, ist weitaus geringer.“

Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften hat sich in Schlüsselbereichen wie Häfen zuletzt verbessert. Unternehmen haben zudem langfristige Verträge mit Spediteuren abgeschlossen, um den Transport zu sichern. Vor der Pandemie kauften sie nach Bedarf.

Zu den Branchen, die am stärksten von Engpässen in den globalen Lieferketten betroffen sind, gehören Halbleiter, Automobile, Industrieunternehmen aller Art, Einzelhandel und Restaurants. Im Folgenden werden wir hervorheben, wie sich die Probleme für jede dieser Branchen entwickelt haben.

 

Logistik

Im Gegensatz zu den Problemen, die andere Branchen trafen, waren Lieferkettenprobleme für Versand- und Logistikunternehmen wie Maersk ein Segen. Sie führten zu deutlich höheren Transportraten.

Für Kunden ist es eine gemischte Sache, da diese Tarife jetzt mit langfristigen Verträgen verbunden sind. „Dies bedeutet effektiv, dass die Inflation der Inputkosten, die wir bei Verbraucher- und Industrieprodukten beobachten, wahrscheinlich noch einige Zeit anhalten wird“, sagt Field.

In den ersten drei Monaten des Jahres lagen die Lieferverzögerungen bei durchschnittlich sieben Tagen, fast doppelt so viel wie im Jahr 2019. Über See verschifften Gütern erging es nicht besser. Nur 36% kamen pünktlich an, weniger als die Hälfte des Niveaus vor der Pandemie.

 

Halbleiter

Halbleiter standen im Mittelpunkt einiger heftiger globaler Lieferkettenprobleme, und betroffen war ein breites Spektrum von Branchen. Dazu gehören Mobiltelefone, Autos und sogar Glühbirnen.

Computer- und Technologieunternehmen haben Mühe, mit der enormen Nachfrage Schritt zu halten, die begann, als die Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiteten. Fabrikschließungen durch das Coronavirus beeinträchtigten zudem die Produktionskapazität der Chiphersteller, was zu einem Auftragsstau führte. Der Technologiestratege von Morningstar, Abhinav Davuluri, sieht jedoch ein Licht am Ende des Tunnels. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die [Halbleiter-]Industrie in die andere Richtung dreht“, sagt er.

Es bleibt jedoch ein gemischtes Bild.

Firmen wie Taiwan Semiconductor Manufacturing priorisieren höherwertige Chips, die für ihre Geschäfte lukrativer sind. Diese werden als Spitzenchips bezeichnet und verwenden zur Herstellung das fortschrittlichste Herstellungsverfahren (auch als Technologieknoten oder englisch: Node bezeichnet).

Diese Chips werden für die neuesten Mobiltelefone, Computer und Cloud-Supercomputing-Anwendungen verwendet. Unternehmen wie Apple (APC), Nvidia und Advanced Micro Devices gehören zu denjenigen, die Milliarden ausgegeben haben, um Verträge mit Taiwan Semiconductor für die fortschrittlichen Nodes zu schließen. Weniger fortschrittliche Chips fielen dabei oft hinten runter und wurden gar nicht erst produziert. Dies könnte sich jetzt ändern. 

„Der PC-Markt beginnt sich zu abzukühlen, wodurch Kapazitäten in den Foundries frei werden, um sich auf andere Halbleiterbedürfnisse zu konzentrieren“, sagt Davuluri.

„Foundries versuchen auch, die Produktionskapazität zu verbessern, aber das braucht Zeit, bis die Kapazitäten startklar sind“, sagt er. Die Situation wird sich verbessern, aber es dürfte immer wieder Probleme geben. 

Dennoch sieht es langfristig gut aus, sagt Davuluri, da die Halbleiterindustrie Maßnahmen ergreift, um sich vor Engpässen zu schützen.

„Die Chipherstellung konzentriert sich stark auf Asien“, sagt er. Unternehmen investieren in die Diversifizierung ihrer Lieferketten in andere Teile der Welt. Taiwan Semiconductor, Samsung und Intel (INL) haben daran gearbeitet, die Kapazität in den USA zu erhöhen.

Anreize für US-Halbleiterfirmen, die Produktion in den USA auszuweiten, könnten auch von der Regierung kommen. Ein parteiübergreifender Gesetzentwurf zur Bereitstellung von Investitionen in Höhe von rund 52 Milliarden US-Dollar zur Verbesserung der Halbleiterproduktion in den USA wird derzeit geprüft. Sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat haben ihre eigenen Versionen davon verabschiedet, aber ein Kompromiss muss noch abgeschlossen werden.

 

Darüber hinaus hat die normalerweise schlank laufende Branche begonnen, Lagerbestände aufzubauen, um Puffer zu haben, sagt Davuluri.

Dennoch bleiben verschiedene Herausforderungen bestehen. Russlands Krieg gegen die Ukraine könnte den Fluss notwendiger Materialien für die Herstellung von Halbleitern - wie Neon und Palladium - stören. Davuluri weist auch darauf hin, dass Firmen, die Werkzeuge und Technologien zur Herstellung von Chips liefern, wie ASML Holdings (ASML), aufgrund der weltweiten Halbleiterknappheit Schwierigkeiten haben, diese bereitzustellen, was den Zeitplan für neue Kapazitäten nach hinten verschiebt.

Automobilindustrie

Autos waren der am stärksten betroffen von Problemen in der Lieferkette von Halbleiterchips. Dies hat zu einem Mangel an Neuwagen geführt sowie zu einem massiven Anstieg der Gebrauchtwagenpreise.

Die Produktion europäischer Autohersteller wurde getroffen, als der Krieg in der Ukraine – die ein großer Lieferant wichtiger Bordnetze für Fahrzeuge ist – die Produktion für Unternehmen wie Volkswagen (VOW3) und BMW (BMW) ins Stocken brachte. Volkswagen musste daraufhin zwei Werke in Deutschland schließen.

In den USA stolpern Ford und General Motors (8GM) in den letzten Monaten immer noch über die Teileknappheit. Ende März zwang ein Mangel an Halbleitern Ford, die Produktion in seinem Werk in Flat Rock, Michigan, einzustellen. Dort stellt es Mustang-Fahrzeuge her. Ebenso schloss General Motors die Produktion in seinem Montagewerk in Lansing Grand River aufgrund eines „vorübergehenden Teilemangels“, berichtete Reuters.

Laut dem Sektorstrategen von Morningstar David Whiston können Unternehmen kurzfristig nicht viel tun, außer zu versuchen, mit Lieferanten zu verhandeln. Laut Whiston dauert es etwa sechs Monate, bis ein Chip hergestellt und an die Autohersteller geliefert wird.

„Was man bekommen kann, teilt man den lukrativsten Fahrzeugmodellen zu“, sagt er. „Unternehmen erwarten keine größere Erleichterung oder bedeutende Verbesserung vor der zweiten Hälfte des Jahres 2022. Es ist ein schrittweiser Prozess. Ich denke, das Schlimmste ist vorbei, aber es ist immer noch schlimm.“

Die Lage scheint sich nur langssam zu stabilisieren. Der Bestand an US-Leichtfahrzeugen ist in den letzten Monaten konstant bei über einer Million Fahrzeugen geblieben. Während die Engpässe anhalten, geht Whiston davon aus, dass die Lagerbestände der Branche im September 2021 ihren Tiefpunkt erreicht hatten. Damals lagen die Lagerbestände bei 973.000 Fahrzeugen.

Langfristig ergreifen einige Autohersteller Maßnahmen, um sich vor künftigen Engpässen in der Lieferkette zu schützen. General Motors ist einers davon sagt er. Das Unternehmen hat daran gearbeitet, die Anzahl der in Fahrzeugen verwendeten Chips um 95 % zu reduzieren, indem es auf Mikrocontroller umgestiegen ist, die die Funktionen einzelner Chips konsolidieren können, berichtet die Detroit Free Press.

Ein Zeichen dafür, dass sich die Bedingungen verbessern, ist der rückläufige Manheimer Gebrauchtwagenwertindex. Der misst das Preisniveau für gebrauchte Fahrzeuge. Der Index ging zuletzt von seinem Allzeithoch im Januar zurück und ist im Jahresverlauf bereits um 5,7% gefallen. Da die Lagerbestände wieder aufgefüllt werden und das Angebot die Nachfrage besser deckt, sollten laut Whiston die Gebrauchtwagenpreise weiter fallen.

 

Industrieunternehmen

Wie viele andere Sektoren hoffen Industrieunternehmen, dass die Probleme in der Lieferkette in der zweiten Jahreshälfte nachlassen, aber „niemand weiß es wirklich“, sagt Joshua Aguilar, Senior Equity Analyst bei Morningstar.

Diese Ungewissheit hat zu einer durchwachsenen Berichtssaison geführt mit unsicheren Ausblicken. Während des Investorentages im März prognostizierte 3M keine langfristigen Gewinnziele, ein ungewöhnliches Ereignis, sagt Aguilar.

Ebenfalls Sorge bereitet die Inflation. Wenn die Inputkosten steigen, müssen Unternehmen die Preise erhöhen, um inflationsbedingte Verluste auszugleichen. Dies war auch ein Problem für 3M, da es an langfristige Verträge gebunden ist, sagt Aguilar.

Zu den Unternehmen, die sich im inflationären Umfeld bisher gut behaupten, gehören solche, die in Nischenmärkten tätig sind, wie der Anbieter elektromechanischer und elektronischer Instrumente Ametek, oder solche mit starker Markenmacht, wie der Anbieter von Elektro- und Leistungskomponenten Hubbell.

Auch die Knappheit an Arbeitskräften verschärft das Problem für verschiedene Unternehmen und hat zu Verzögerungen bei der Abarbeitung von Aufträgen geführt.

Für Industrieunternehmen mit Auftragsrückständen kommt es nun darauf an, ob sie diese Aufträge in Unsätzen verwandeln können. Kunden könnten ihre Orders am Ende stornieren. Da es jedoch in der Regel hohe Ausfallkosten gibt, wenn Kunden alternative Produkte verwenden, glaubt Aguilar, dass dies kein weitverbreitetes Problem wird, aber dass die Cashflows zurückgehen werden.

 

Restaurants und Essen

Die steigenden Kosten für Zutaten, Arbeitskräfte und Betriebsmittel setzen das Gastgewerbe unter Druck. Auch hier sind Lieferkettenprobleme schuld.

Die Kosten für gängige Zutaten wie Fleisch, Weizen und Sonnenblumenkerne sind in die Höhe geschossen, als der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Unterbrechungen der Lieferkette verschärfte. Der Weizenpreis ist im vergangenen Jahr um 70,4% gestiegen und hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. Mais- und Sojabohnenpreise sind fast doppelt so hoch wie vor drei Jahren. Manche Supermärkte in Europa haben Sonnenblumenöl rationiert, um zu verhindern, dass Kunden zu viel kaufen.  

Dies war ein großes Problem für Restaurants, da der allgemeine Preisanstieg ihre Kosten dramatisch erhöht hat.

Steigende Kosten für den Betrieb physischer Standorte durch höhere Energiepreise und steigende Löhne führen auch zu höheren Ausgaben für den Betrieb von Restaurants. Steigende Spritpreise und der angespannte Markt für Fahrer bergen zudem Risiken für Restaurants mit einem großen Liefergeschäft wie Domino's Pizza.

Trotz des Inflationsdrucks sind die Umsätze bei Unternehmen wie McDonald's (MDO) und Starbucks (SRB) gestiegen. Diese steigenden Einnahmen sind darauf zurückzuführen, dass diese Unternehmen die steigenden Preise an die Kunden durchreichten.

Die Betreiber haben die Preise erhöht, aber sie wollen die Verbraucher auch nicht abschrecken, sagt Sean Dunlop, Aktienanalyst von Morningstar. Der Versuch, dies in Balance zu halten, hat zu schrumpfenden Restaurantmargen geführt. 

Unternehmen mit einer großen Anzahl von Franchise-Partnern könnten besser positioniert sein, um dem Inflationsdruck zu widerstehen. McDonald's, dem etwa 5% seiner Filialen gehören, verdient Geld mit Lizenzverkäufen. Infolgedessen sind die Margen auf Unternehmensebene möglicherweise nicht im gleichen Maße betroffen wie bei unabhängigen Restaurants.

 

 

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Im Artikel erwähnte Wertpapiere

BezeichnungKursVeränderung (%)Morningstar Rating
Apple Inc226,96 USD-0,23Rating
Bayerische Motoren Werke AG67,66 EUR-3,15
General Motors Co55,58 USD0,34Rating
Intel Corp26,20 USD-0,11Rating
McDonald's Corp298,97 USD1,46Rating
Taiwan Semiconductor Manufacturing Co Ltd ADR201,20 USD0,00Rating
Tesla Inc321,22 USD8,19Rating
Volkswagen AG87,65 EUR-2,99

Über den Autor

Jakir Hossain  Datenjournalist bei Morningstar