Anlegerliebling Russland

Fondssparer sind über ihre Osteuropaaktien- und globalen Anleihefonds in Russland investiert. Haben sie sich eigentlich schon mal gefragt, was aus dieser Region indirekt über die Fonds in ihrem Portfolio liegt?

Werner Hedrich 14.06.2006
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Geldsegen durch Öl und Gas

Russland hat im Zuge des Öl- und Gaspreisbooms substantielle Devisenreserven aufbauen können. Diese Schatztruhe ermöglicht, Schulden frühzeitig zu tilgen. Das Ausland hat Russland während der Währungskrise 1998 mit Krediten unter die Arme gegriffen. Heute bieten die Russen den im Pariser Club vereinten Staaten an, die 17,2 Mrd. Euro Verbindlichkeiten (davon 7,7 Mrd. Euro von Deutschland) mit einem Schlag vorzeitig zu tilgen. Die Verhandlungen Russlands mit den Geberländern sind ein starkes Signal an Anleiheinvestoren, die in ihren Portfolios meist in US Dollar denominier

te Staatsschulden (hard currency debt – engl. Hartwährungsschulden) oder Schuldverschreibungen staatsnaher Konzerne halten. Die Wahrscheinlichkeit eines mittelfristigen Zahlungsausfalls nimmt ab, was zu steigenden Notierungen der Bonds (Kursgewinnen) und rückläufigen Renditen führt. Gute Nachrichten also für Fonds, die in russischen Anleihen investiert sind. Aber wie sieht es mit Aktienengagements aus?

Russland und Shareholder Value

Analog zu den Notierungen an den Terminmärkten für Öl, Gas und Industriemetalle schossen weltweit Aktien der Ölgesellschaften und Bergbaukonzerne in die Höhe. Da Russland energie- und rohstofffreich ist, legten die Kurse an der Börse Moskau fulminant zu. Hauptargument der Anleger: Die russischen Titel seien relativ billiger als Exxon Mobil oder etwa Royal Dutch Shell. Die vermeintliche Unterbewertung hat aber einen guten Grund: Gazprom und Co. gehören dem Staat und Privatanleger, Fondssparer oder Kleinaktionäre allgemein spielen keine Rolle, obwohl sie verbriefte Eigentumsrechte in Form von Aktien besitzen. Der Gedanke des Shareholder Value steht bei den meisten russischen Unternehmen an dritter oder vierter Stelle.

Russland-Bullen argumentieren gerne, dass der deutsche Energieversorger EON eine bedeutende Beteiligung an Gazprom hält. Ein so großer Investor könne sich doch nicht irren. Das mag sein, aber diese strategische Beteiligung ist anders zu werten als die paar Aktien eines Investmentfonds, weil sie erstens 6,5% an Gazprom ausmacht. Und zweitens, was noch viel wichtiger ist, von der Politik gewollt ist. Sie ist Ausdruck der deutsch-russischen Beziehungen.

Fondssparer, die in Osteuropafonds investiert sind, sollten sich über ihre Minderheitenrolle in russischen Aktiengesellschaften im Klaren sein. Fonds mit Schwerpunkt Osteuropa haben durchschnittlich einen Russlandanteil von 50%. Obwohl private Investoren in Russland nichts zu sagen haben.

Russland dreht seit Putin die Privatisierungsschraube zurück und sichert sich Einfluss im Schlüsselsektor Energie. Die Mehrheit an Gazprom hält nach wie vor der Staat. Vor zwei Jahren wurde der private Ölförderer Yukos zerschlagen und sein Chef ins Arbeitslager verbannt. Ob die Privatisierungen des Volkseigentums nach dem Zusammenfall der Sowjetunion gerecht waren, steht auf einem anderen Blatt.

Heute, nach der teilweisen Rückabwicklung der Privatisierungen, steht fest, dass die Interessen des Staates nicht diejenigen der Aktionäre sind. Was mit russischen Aktien gehandelt wird, ist die Phantasie, dass Vater Staat irgendwann die Konzerne wieder frei gibt und privatisiert. Bis dahin handeln Börsenmakler und Investmentfonds Lärm. Zugegeben: Lärm lässt Kurse steigen und fallen.

Unglaubliche Geschichte

Im Sommer werden Osteuropafondssparer wahrscheinlich Rosneft Aktien indirekt über ihre Fonds halten. Rosneft ist ein russischer Erdölkonzern, der 20% seiner Aktien an der Londoner Börse verkaufen möchte. Als Privatanleger werden sie dann über ihren Osteuropafonds Teil einer unglaublichen Geschichte sein:

Rosneft ist in Staatshand. Ein Großteil des Konzerns stammt aus der Zerschlagung des ehemals privaten Ölkonglomerats Yukos. Der Staatskonzern Rosneft kaufte das Filetstück von Yukos (eine Fördergesellschaft namens Yuganskneftegas) mit Hilfe westlicher Banken, die großzügig Milliardenkredite vergaben, sozusagen aus der Insolvenzmasse. Faktisch hat die Regierung Putin mit einem vorgeschobenen Steuerprozess westliche Anteilseigner und den russischen Oligarchen Chodorkowski enteignet. Das jeder freiheitlichen Grundordnung elementare Prinzip des Eigentumsrechts wurde ad absurdum geführt, der Rechtsstaat mit Füßen getreten.

Zurück zur Börseneinführung Rosnefts: Jetzt sollen Fonds und private Spekulanten die zu emittierenden 20% kaufen. Die Erlöse aus dem initial public offering (IPO; engl. Börseneinführung) werden teilweise für die Tilgung der Kredite der westlichen Banken verwendet. Sieht das nach einem guten Geschäft aus? Anleger kaufen Anteile an einem Unternehmen, in dem die Staatsinteressen Vorrang haben und in dem sie rein gar nichts zu sagen haben. Und zuguterletzt dient der Emissionserlös zur Tilgung von Krediten. Warum hat der Staat Rosneft nicht selber mit Geld zum Kauf von Yuganskneftegas ausgestattet? Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit rechtsstaatlichen oder eigentumsrechtlichen Einwendungen.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Werner Hedrich