Spanien ist vorerst nur für „die Euro“ gut

Ungeachtet der jüngsten Euphorie sollten Anleger mit Blick auf die iberische Halbinsel Vorsicht walten lassen. Fund Times, die wöchentliche Morningstar Fondskolumne.

Ali Masarwah 02.07.2012
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Nicht nur die Fußballgötter scheinen dem leidgeprüften Spanien wohlgesonnen: Der jüngste Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vergangene Woche hat dem EU-Land Entlastung versprochen. Der EU-Gipfel hat die Stimmung an den Märkten beflügelt. Investoren rechnen nun damit, dass die Krisenstaaten Italien und Spanien mit Hilfen rechnen können, weitgehend ohne Auflagen (entsprechende Äußerungen der Europäischen Zentralbank gibt es seit dem Wochenende auch zu Griechenland). Hinzu kommen scheinbar großzügige Wachstumsspritzen mit einem Volumen von 120 Milliarden Euro und eine unabhängige, gemeinsame Euro-Bankenaufsicht. 


Ein neuer Himmel über Europa?


Die Reaktionen an den Märkten waren furios: Am Freitag legte der Dax um gut 4,3% zu, der Euro Stoxx 50 stieg sogar um rund 5%. Der freundliche Trend setzte sich auch in dieser Woche fort: Bis Montagnachmittag kletterten die beiden Indizes weiter um 1,3% bzw. 1,2%, der SMI in Zürich stieg um 0,7% und der ATX in Wien um knapp 1,4%. Auch die fallenden Renditen spanischer und italienischer Anleihen sorgen allseits für Erleichterung: Alleine am Freitag sackten die Zinsen für zweijährige Spanien-Bonds um atemberaubende 144 Basispunkte auf 4,27%, 10-Jahres-Bonds sank immerhin um 61 Basispunkte auf 6,33%. 


Hat sich der Himmel über Europa von krisentristem Grau zu einem strahlenden Blau gewandelt? Wo stehen wir heute? Vorweg gesagt: Die Perspektiven für Risikoanlagen sind nicht die schlechtesten, und zwar aus einem entscheiden Grund. Doch zunächst die fundamentale Einordnung: Natürlich sollte man nicht die Erleichterungs-Rally seit Freitag vergangener Woche zum Maß aller Dinge machen. Man sollte durchaus kritisch die Frage stellen, ob die Lösung der Eurokrise tatsächlich so viel näher gerückt ist in den vergangenen 4 Tagen. 


Vorsicht ist angebracht: Die Gräben zwischen den EU-Staaten sind auf dem jüngsten Gipfel nicht wirklich zugeschüttet worden. So hat Finnland am Montag angekündigt, gemeinsam mit den Niederlanden Anleihekäufe des Rettungsfonds ESM auf dem Sekundärmarkt zu blockieren, und die deutsche Bundesregierung ruderte in dieser Woche zurück. Der Eindruck, es würden Rettungsgelder ohne Auflagen fließen, sei „grundfalsch“, heißt es nun aus Berlin. 


Ob Euro-Nord oder Euro-Süd: Staatsanleihen sind nicht attraktiv


Zunächst zur Bond-Seite: Unsere Analysten sind skeptisch: So lange die Zinsen für Spanien-Bonds noch bei über 6% verharren, sei mitnichten klar, dass die Krise wirklich überwunden ist. „Wir möchten einen weiteren substanziellen Renditerückgang bei spanischen Anleihen sehen, der auch nachhaltig sein muss, bevor wir zu einer optimistischeren Sicht der Märkte kommen können“, so Morningstar-Analyst Dave Sekera. Bevor die gemeinsamen Krisenmechanismen greifen könnten, müssten die Euroland-Staaten Souveränitätsrechte an gemeinsame Institutionen abtreten, vor allem in der Fiskalpolitik, fordert Sekera.


Ähnlich lautet die Einschätzung von Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement Renten bei Union Investment. „Es bleiben viele Punkte offen, etwa beim Thema politische Union. Auch die Budget- und strukturellen Wirtschaftsprobleme in den Peripheriestaaten lösen sich nicht in Luft auf und werden uns weiter begleiten“, so Engels weiter. Er macht auch auf das politische Risiko aufmerksam, das ein Fragezeichen hinter die anstehenden Konsolidierungskurse der Euro-Südländer setze. Die Zustimmung der Bevölkerung zu der Austeritätspolitik der Regierungen sei keinesfalls klar. 


Drastischer formulieren es - wieder einmal - die Euroskeptiker jenseits des Ärmelkanals in Großbritannien. „Wir sind unverändert pessimistisch für die Wachstumsaussichten Europas“, sagt Mark Burgess, Chefanlagestratege der Investmentgesellschaft Threadneedle. „Wir müssen uns auch klar machen, was die Austeritätsmaßnahmen in den Gesellschaften der Süd-Eurostaaten anrichten“, fügt er hinzu. 


So weit, so klar also: Angesichts der hohen Risiken auf der Konjunkturseite werden vermutlich zu Recht hohe Risikoaufschläge für die so genannten PIIGS-Bonds (PIIGS steht Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) verlangt. Klar ist angesichts der nach wie vor niedrigen Renditen von sicheren Bundesanleihen (bzw. US- und Schweizer Staatsobligationen) auch, dass die Erwartungen an das Wirtschaftswachstum ebenfalls sehr niedrig sind. 


Das schlagende Argument für Aktien: Der Bewertungsfaktor


Steht auch anderen Risiko-Assets also ein Ausverkauf bevor? Nicht, wenn man die Verlautbarungen etlicher Investment-Häuser vernimmt. „Wir haben Aktien in gemischten Portfolios wieder neutral gewichtet“, so Burgess von Threadneedle. Auch die Aktien-Researcher bei Morgan Stanley empfehlen, Aktien in Mischportfolios von „untergewichten“ auf „neutral“ zu setzen – auch wenn sie nach wie vor damit rechnen, dass die Gewinne der Unternehmen 2012 in Europa im Schnitt um 8% pro Aktie fallen werden. 


Wie passt das zusammen: pessimistische Konjunktur- und Gewinnaussichten und höhere Aktienquoten? Nun, wir haben bereits in der vergangenen Woche an dieser Stelle angemerkt, dass die Bewertungen in Europa günstig sind. In derart erratischen Marktphasen sind die Bewertungen entscheidend; sie stellen den Halt dar, entlang Investoren navigieren können. Das sehen offenbar nicht nur wir so. Europäische Aktien sind heute, nach einem insgesamt enttäuschenden 2. Quartal,  deutlich günstiger bewertet als vor 3 Monaten (lesen Sie hier mehr zu unseren Fair-Value-Schätzungen europäischer Branchen). „Die Märkte preisen schon viel ein, die Aktienbewertungen sind sehr niedrig, wohin man schaut“, sagt Burgess von Threadneedle und nennt die Faktoren „günstige Bewertungen, solide Unternehmensbilanzen, hohe Dividendenrenditen“. Während die Durchschnitts-KGVs in den USA 2012 und 2013 bei 12,7 bzw. 11,9 liegen, beträgt das KGV für Europa (ohne Großbritannien) laut Threadneedle 11,4 für 2012 bzw. 10,4 für 2013.


Um Anlegern Mut zu machen, haben die Briten einen Langfrist-Chart für den britischen Aktienmarkt angefertigt, der sich freilich auch auf andere entwickelte Aktienmärkte anwenden lässt. Er zeigt, in welchen Jahren die höchsten Renditen am Aktienmarkt zu holen war. Die X-Achse die Grafik unten zeigt das historische KGV für Aktien, die Y-Achse zeigt die Aktienmarktrenditen. Antizyklisch zu investieren lohnt sich also!


Kaufen, wenn die Kanonen donnern: Niedrige KGVs für die Kursgewinne der Zukunft!


Quelle: Threadneedle


Doch bevor Anleger jetzt alle Vorsicht über Bord werfen und in den Aktienmarkt investieren, der am tiefsten gefallen ist, sollten sie sich des wichtigsten Leitsatzes für Investoren besinnen: dem Gebot der Diversifizierung! Kaufen Sie nicht Griechenland, Portugal oder Spanien! Auch wenn der Optimismus gerade mit Blick auf Spanien steigt und der Aktienindex Ibex 35 in den vergangenen 12 Monaten rund 30% verloren hat, sollten Anleger Vorsicht walten lassen (notabene: in den vergangenen 2 Handelstagen waren es gut 10% plus beim IBEX 35). 


Inditex, Repsol und Banco Santander zum Trotz: Zurückhaltung bei Spanien-Aktien

ist angesagt


Die Warnung vor den Risiken des spanischen Aktienmarkts kommt übrigens aus berufenem Munde: Cayetano Cornet, Partner und Gründungspartner der spanischen Vermögensverwaltung Cartesio Inversiones, rät von spanischen Aktien ab. „Es scheint auf den ersten Blick verlockend zu sein, in Unternehmen wie Repsol, Inditex, Banco Santander, die weltweit führend in ihren Branche sind, zu investieren. Aber das reicht nicht aus, um aggressiv in spanische Aktien zu investieren“, warnte Cornet jüngst in einem Web-Seminar von Morningstar. Das war auch das gemeinsame Fazit der Morningstar-Expertenrunde in Madrid: „Billig reicht nicht“. Der Cartesio-Partner führte aus: Er wolle zumindest auf Sicht von 6 Monaten die Talsohle für die spanische Wirtschaft erreicht sehen, bevor er sich mit seinen Fonds Cartesio X und Cartesio Y am Heimatmarkt engagieren werde (klicken Sie hier, um die Aufzeichnung des Morningstar-Webinars zu Spanien-Investments zu sehen). Für europäische Investoren böten sich in Europa günstigere Alternativen bei geringerem Risiko an.


Auch ETF-Anleger sollten den spanischen Leitindex sehr genau begutachten, bevor sie investieren: Der IBEX setzt sich zu gut einem Drittel aus Finanzaktien zusammen (lesen Sie mehr über die Zusammensetzung des IBEX 35 hier).  Neben der Sippenhaft des volatilen spanischen Markts würden sich Index-Anleger mit dem Kauf eines IBEX-ETF gewissermaßen in das Auge des Orkans begeben. Ungeachtet der Euphorie in Spanien um die gewonnene Europameisterschaft sollten Anleger also nicht nur die Bewertungen, sondern auch die fundamentalen Kennzahlen im Blick behalten.

Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen dienen ausschließlich zu Bildungs- und Informationszwecken. Sie sind weder als Aufforderung noch als Anreiz zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzinstruments zu verstehen. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen sollten nicht als alleinige Quelle für Anlageentscheidungen verwendet werden.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich