Während die meisten Länder in Europa und die USA immer noch mit einer hohen Inflation kämpfen, hat die Schweiz mit dem gegenteiligen Problem zu tun: Deflation.
Die Rolle der Schweiz als sicherer Hafen hat sich in den letzten Wochen noch verstärkt. In einer Abkehr vom üblichen Marktverhalten verkauften Anleger in den Tagen nach dem 2. April infolge der aggressiven Rhetorik von US-Präsident Donald Trump sowohl US-Staatsanleihen als auch den US-Dollar – Anlagen, die lange Zeit als sichere Häfen galten.
Auf der Suche nach einem sicheren Hafen stieg die Nachfrage nach Schweizer Vermögenswerten - insbesondere nach dem Franken und Schweizer Staatsanleihen.
Dies hat zwar den Ruf der Schweiz als risikoarmer Zufluchtsort gestärkt, aber stellt auch ein Dilemma für die Schweizerische Nationalbank dar, die nun vor der doppelten Herausforderung steht, die Währungsstärke zu managen, die ihrer exportabhängigen Wirtschaft schadet, und eine Deflation abzuwehren, da Importe in die Schweiz billiger werden.
Leitzins der SNB bald wieder negativ?
Die Blicke richten sich nun auf die nächste SNB-Sitzung am 19. Juni. Eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte auf 0 % erscheint wahrscheinlich, und es sieht danach aus, als würden die Negativzinsen in der Schweiz bald zurückkehren.
SNB wird durch den schwachen US-Dollar herausgefordert
Im bisherigen Jahr 2025 hat der Schweizer Franken gegenüber dem US-Dollar um mehr als 7 % aufgewertet, während er gegenüber dem Euro in etwa stabil geblieben ist. Der USD/CHF-Kurs fiel von 0,8814 am 2. April auf 0,8145 am 14. April und überraschte damit Anleger, die in Zeiten geopolitischer Spannungen normalerweise einen Anstieg des Dollars erwarten.
Die Ökonomen der UBS bleiben mittelfristig gegenüber der US-Währung zurückhaltend. “Wir erwarten eine erneute Dollarschwäche, da sich die US-Wirtschaft verlangsamt und sich der Fokus auf die großen Defizite der USA verlagert”, erklärten sie am 12. Mai.
Wenige Tage später stufte Moody’s als letzte der drei großen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der USA von “AAA” auf “Aa1” herunter.
“Seit dem Liberation Day sind die Ausichten unsicherer geworden, auch für den US-Dollar und für US Treasuries”, sagt Martina Honegger-Romahn, Lead Portfolio Manager Fixed Income Schweiz bei Allianz Global Investors bei Allianz Global Investors.
“Dass in Zeiten des erhöhten Risikos der Dollar schwächer wird und die Treasury-Renditen steigen, ist ungewöhnlich und auch für die SNB eine neue Situation. Wenn die SNB früher mit dem Problem des stärkeren Franken kämpfte, konnte sie mit Devisionmarktinterventionen gegen den schwachen Euro einschreiten. Jetzt ist aber plötzlich der Dollar schwach. Da kann die SNB nicht gewinnen, denn der Dollar-Devisenmarkt ist zu groß. Deshalb würden der SNB nur weitere Zinssenkungen bleiben, um weitere Zuflüsse in den Franken zu schwächen”, so Honegger-Romahn.
Ist die Schweiz ein Währungsmanipulator?
Zudem würden die möglichen Devisenkäufe der Zentralbank die Bilanzsummer der SNB noch ausweiten, meint Valentino Guggia, Ökonom bei der Migros Bank.
“Das könnte politische Folgen haben: So wäre das Jahresergebnis der SNB noch mehr an den Schwankung der Finanzmärkte ausgesetzt (Stichwort Dividende). In einem negativen Jahr könnten größte Verluste zu einem negativen SNB-Eigenkapital führen, was die Glaubwürdigkeit der Bank belasten könnte. Zudem könnte die US-Regierung der Schweiz vorwerfen, ein ”Currency Manipulator" zu sein - mit ungeklärten Folgen", so Guggia.
Das US-Finanzministerium bezeichnete die Schweiz im Dezember 2020 als “Währungsmanipulator” und begründete dies u. a. mit dem hohen Handelsüberschuss mit den USA. Dieser Schritt wurde im April 2021 von der Regierung von Joe Biden rückgängig gemacht, die einräumte, dass die Pandemie ein besonderes Umfeld geschaffen habe, in dem die Handelsströme verzerrt wurden.
Die SNB sei bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, fügt Guggia hinzu, auch wenn dieses Instrument in letzter Zeit nur selten eingesetzt worden sei.
Die Schweiz am Rande der Deflation
Die Inflationsdaten vom April haben bestätigt, was die Märkte bereits eingepreist hatten: Die Schweiz flirtet wieder einmal mit der Deflation. Die Gesamtinflationsrate lag bei 0,0 % und wurde durch sinkende Energiepreise, den starken Franken - der die Importkosten drückt -, und eine geringe inländische Inflationsdynamik gedeckelt.
“Zurzeit sind die Risiken bei der Inflation nach unten gerichtet aufgrund des starken Frankens und sinkender Energiepreise”, sagt Guggia. “Zudem lässt die inländische Teuerung allmählich nach.”
Trotz eines starken BIP-Wachstums von 0,7 % im ersten Quartal 2025 zeigt die Schweizer Wirtschaft erste Anzeichen einer Abkühlung. Die Exporte blieben zwischen Januar und März robust, aber viele Ökonomen vermuten, dass dies auf vorgezogene Ordertätigkeit im Vorfeld der US-Zölle zurückzuführen ist. Seit dem 9. April gilt ein US-Zuschlag von 31 % auf Waren mit Schweizer Ursprung, wobei Pharmazeutika - der wichtigste Exportsektor der Schweiz - von Trumps Vorstoß zur Senkung der US-Arzneimittelpreise betroffen sind.
Renditen von Schweizer Staatsanleihen drehen ins Negative
Auch die Renditen der Schweizer Staatsanleihen haben auf die veränderten Marktbedingungen reagiert. Anfang Mai fielen die Renditen für kurze Laufzeiten zum ersten Mal seit Jahren wieder unter Null - Ausdruck der Nachfrage nach sicheren Häfen und der Spekulationen über eine lockere SNB-Geldpolitik. Anleihen-Käufe treiben deren Preise nach oben und drücken die Renditen nach unten.
Die Renditen sind nun für Laufzeiten bis zu vier Jahren sind inzwischen negativ, während Anleihen mit längeren Laufzeiten weiterhin leicht positiv sind. Die Rendite 10-jähriger Anleihen fiel am 7. Mai kurzzeitig auf 0,14 %, hat sich seitdem aber wieder auf 0,34 % erholt, und die 2-jährige Anleihe fiel im April auf -0,04 %.
Wird die SNB am 19. Juni die Zinsen senken?
Die nächste Sitzung der SNB-Entscheidungsträger findet am 19. Juni statt. Guggia von der Migros glaubt, dass die Zentralbank entschlossen vorgehen wird: “Die SNB ist sehr unnachgiebig, was die Preisstabilität angeht. Deshalb wird sie in unserem Basisszenario den Leitzins in ihrer Juni-Sitzung auf 0 % senken. Der weitere Kurs wird von den Entwicklung des Zollstreits mit dem USA abhängen, die den Frankenaussenwert stark beeinflussen. Vorerst rechnen wir noch nicht mit einer Rückkehr der Negativzinsen.”
Allianz Global Investors rechnet im weiteren Jahresverlauf mit einer Rückkehr der Negativzinsen. “Im Juni erwarten wir im eine Zinssenkung auf 0 und im September Zinsen im negativen Bereich”, sagt Honegger-Romahn.
“Je nach den Entwicklungen rund um die Zölle und den Dollar könnte es vielleicht sogar schon im Juni in den negativen Bereich gehen.”
Die Märkte behalten dabei auch die recht seltenen Sitzungen der SNB auf dem Schirm: die Schweizer Geldpolitiker treffen vier reguläre geldpolitische Entscheidungen pro Jahr. Dies erhöht das Risiko außerplanmäßiger Interventionen, wenn sich die Finanzbedingungen verschlechtern.
“Es stand kurz nach Liberation Day auch eine Notfallsenkung im Raum. Die SNB trifft sich nur alle 3 Monate, daher sind auch Notfallsenkungen sind denkbar”, sagt Honegger-Romahn.
Seit dem Jahr 2000 hat die SNB rund 10 Mal außerhalb ihres regulären Sitzungszyklus Zinsentscheide gefällt.
Guggia und Honegger-Romahn sind sich einig, dass ein Eingreifen am Devisenmarkt indes vorerst unwahrscheinlich bleibt. “Eine solche Intervention würde auf eine Notfallsituation anzeigen, was aktuell nicht der Fall ist”, sagt Guggia.
Was der starke Schweizer Franken für die Anleger bedeutet
Für Anleger aus der Eurozone und den USA unterstreicht die Frankenstärke die Kosten der Sicherheit - sie kann die Rendite von Anlegern schmälern, die Vermögenswerte in anderen Währungen als dem Franken gekauft haben. Darüber hinaus kann er die Gewinnmargen von Schweizer Unternehmen in Zukunft drücken, was sich möglicherweise negativ auf deren Aktienkurse auswirkt.
Dennoch können Schweizer Anleihen Anlegern, die in einem zunehmend volatilen globalen Umfeld nach Sicherheit und Kapitalerhalt suchen, Diversifizierungsmöglichkeiten bieten.
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